Freiburg/Nürnberg : Mit Pflanzenkraft gegen Krebs: Misteltherapie bleibt ungewiss
Freiburg/Nürnberg Ein seltsames Gewächs mit geheimnisvollem Image - die Mistel. Ein kugeliger Busch, der in den Ästen verschiedener Baumarten sitzt und als Schmarotzer seinen Wirten den Saft entzieht. Die Mistel gilt als Gift, aber ebenso als Heilpflanze mit mystischer Kraft. Auch gegen Krebs soll sie Heilkräfte entfalten.
Den Anstoß zur Behandlung von Krebserkrankungen mit Mistelpräparaten gab der Begründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner, im Jahr 1916. Diese Idee bildete die Grundlage für die Erfolgsgeschichte der Misteltherapie: 1917 entwickelte die Ärztin Ita Wegman das erste Mistelpräparat - seitdem hat sich die Misteltherapie zur häufigsten alternativen Krebsbehandlungsmethode im deutschsprachigen Raum entwickelt.
Ein eindeutiger Wirksamkeitsnachweis ist schwierig - doch nach Erfahrung von Experten kann sie dazu beitragen, das Immunsystem zu stärken und die Lebensqualität zu verbessern.
„In der Regel wird dem Patienten während oder nach einer konventionellen Krebstherapie täglich ein Mistelpräparat unter die Haut gespritzt. Dabei finden Mistelpräparate unterschiedlicher Wirtsbäume Verwendung”, erläutert Gunver Kienle, Ärztin am Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie in Freiburg.
„Die Behandlung kann über einige Wochen, aber auch über Jahre erfolgen - häufig mit dem Ziel, den Organismus und das Immunsystem zu stärken und möglicherweise auch das Tumorwachstum zu reduzieren.”
Eindeutige Wirkungsnachweise zur Misteltherapie fehlen
Paradoxerweise zählt die Misteltherapie zwar zu den am besten erforschten naturheilkundlichen Behandlungsansätzen, eine eindeutige Aussage über ihre Wirksamkeit lässt sich jedoch bis heute nicht treffen. „Nach streng wissenschaftlichen Kriterien, die man auch bei der Überprüfung neuer Medikamente anlegen würde, lässt sich bisher keine verlässliche Wirkung auf das Tumorwachstum oder die Überlebenszeit bei Krebspatienten nachweisen”, sagt Markus Horneber, Leiter der Arbeitsgruppe Biologische Krebstherapie am Klinikum Nürnberg.
Zusammen mit Wissenschaftlern aus Berlin, Freiburg und München hat der Mediziner im Jahr 2008 Studien zur Misteltherapie aus den letzten 30 Jahren analysiert. Gerade einmal 21 zuverlässige Untersuchungen spürten die Forscher auf. Sie deuten allerdings immerhin auf eine Verbesserung der Lebensqualität und eine generell gute Verträglichkeit der Misteltherapie hin.
„Insgesamt ist es schwierig, eine Gesamtaussage über die Wirksamkeit von Mistelextrakten zu treffen, denn die Studien zu diesem Thema unterscheiden sich stark in ihrer Methodik, den verwendeten Mistelextrakten und der Art der Anwendung”, betont Horneber. „Allerdings zeigen vielfache ärztliche Erfahrungen, dass Mistelextrakte durchaus Wirkungen haben, zum Beispiel auf das Immunsystem.”
Dies ergaben auch die Untersuchungen von Gunver Kienle, die sich seit 1994 wissenschaftlich mit der Misteltherapie beschäftigt. „Aus tierexperimentellen Studien wissen wir, dass Mistelextrakte Immunprozesse stimulieren, was eine Relevanz für die Tumorabwehr hat”, berichtet Kienle.
„Weiterhin wurde auch ein direkter hemmender Einfluss auf das Wachstum von Krebszellen dokumentiert.” Für eine längere Überlebenszeit von Krebspatienten oder eine Rückbildung von Tumoren hat allerdings auch Kienle keine definitiven Belege gefunden. „Allerdings zeigt sich in vielen Studien, dass die Therapie die Lebensqualität der Patienten verbessern kann: Sie fühlen sich kräftiger und weniger müde, haben weniger Infekte und berichten über weniger Übelkeit, Angst und niedergeschlagene Stimmung ”, erläutert die Forscherin.
In einigen Studien haben Forscher die Mistelextrakte auch direkt in oder um den Tumor gespritzt und dabei häufig eine Verkleinerung beobachtet. „Allerdings sind Mistelpräparate für diese Applikation nicht zugelassen, so dass sie nur in sorgfältig kontrollierten Untersuchungen eingesetzt werden sollten”, betont Kienle. „Um die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Anwendung zu überprüfen, sind wesentlich mehr Untersuchungen notwendig.”
Beratung und Behandlung durch Experten ist wichtig
Mistelpräparate kann prinzipiell jeder Arzt verschreiben und sie werden im Allgemeinen auch von den Krankenkassen bezahlt. „Umso wichtiger sei es für Krebspatienten, sich vor Beginn einer Misteltherapie gut zu informieren und sich nur von einem erfahrenen Arzt behandeln zu lassen”, betont Kienle.
Informationen dazu könnten Betroffene zum Beispiel über die Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte oder die Gesellschaft für biologische Krebsabwehr erhalten. Auch die Arbeitsgruppe Biologische Krebstherapie in Nürnberg bietet mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe eine ärztliche Beratung für Patienten an. „Dabei ist es zunächst wichtig, zu verstehen, warum jemand nach einer Misteltherapie fragt.
Dieses Anliegen sollte man ernst nehmen”, sagt Horneber. „Es kann auf Belastungen hinweisen und auf das Bedürfnis, selbst etwas zur Heilung beizutragen.” Die Ärzte klären die Betroffenen dann über mögliche Wirkungen einer Misteltherapie auf, informieren aber auch über weitere Möglichkeiten, den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen, zum Beispiel durch Sport oder eine ausgewogene Ernährung.
Bisher sei es schwierig vorherzusagen, bei wem welche Wirkungen oder Nebenwirkungen auftreten, ergänzt der Krebsforscher. „Hier hilft es letztlich nur, gemeinsam mit den behandelnden Ärzten die beste Behandlungsstrategie zu finden.”