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Berlin: Auslöser der Nesselsucht sind schwer zu finden

Berlin : Auslöser der Nesselsucht sind schwer zu finden

Das kennt jedes Kind: Man streift versehentlich eine Brennnessel (lat. Urtica dioica), und in kürzester Zeit entsteht ein juckender, roter Hautausschlag. Medizinisch gesehen ist das eine Nesselsucht (Urtikaria). Sie kann außer von der wuchernden Wildpflanze von den unterschiedlichsten Reizen verursacht werden. Das erschwert die Behandlung enorm.

Die häufigste Form der Nesselsucht ist die spontane Urtikaria. „Bei jedem vierten Deutschen tritt irgendwann im Laufe des Lebens eine akute Urtikaria auf”, erklärt Prof. Marcus Maurer, Forschungsdirektor an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Charité Universitätsmedizin Berlin und Leiter der Urtikaria-Sprechstunde. In der Regel heile die spontane akute Urtikaria in weniger als sechs Wochen ab. Bei etwa einem Prozent der Patienten werde sie chronisch. Dabei seien besonders häufig Frauen zwischen 20 und 60 Jahren betroffen. „Allerdings geht auch die chronische Urtikaria immer wieder von alleine weg.”

Die juckenden Quaddeln sind ein typisches Nesselsucht-Symptom. „Sie sehen aus, als ob man in Brennnesseln gegriffen hat, haben häufig ein weißliches Zentrum und wandern innerhalb weniger Stunden über den Körper”, erklärt Sibylle Schliemann von der Deutschen Dermatologische Gesellschaft (DDG). Ein weiteres Symptom können tiefe Schwellungen der Haut - sogenannte Angioödeme - sein. „Ist davon beispielsweise die Mundschleimhaut betroffen, kann es lebensgefährlich werden”, sagt Sonja Lämmel, Ökotrophologin beim Deutscher Allergie- und Asthmabund (DAAB). Quaddeln und Angioödeme können in Kombination oder einzeln auftreten.

Die Betroffenen schränkt der Juckreiz erheblich ein: Sie kratzen automatisch, können sich kaum noch auf die Arbeit konzentrieren und nicht schlafen. „Gegen den quälenden Juckreiz gibt es keine lindernden Hausmittel. Einige Patienten stellen sich unter die Dusche, doch das verschlimmert das Jucken häufig nur”, erläutert Schliemann.

Der einzige Weg ist der zum Dermatologen oder in eines der wenigen speziellen Urtikaria-Zentren. Dort können die akuten Quaddeln oder Angioödeme behandelt werden. „Dazu wird ein Antihistaminikum in bis zu vierfacher Dosis verabreicht”, erklärt Sonja Lämmel. „Unsere Erfahrung ist, dass viele niedergelassenen Dermatologen dieses komplexe Krankheitsbild nicht umfassend genug behandeln und nur Kortison verschreiben. Doch das ist nicht das Mittel der Wahl.” Irgendwann sei der jeweilige Schub zu Ende. Doch der nächste Schub komme dann bestimmt.

Parallel zur symptomatischen Behandlung muss deshalb nach dem Krankheitsauslöser gesucht werden. Der behandelnde Arzt hinterfragt dazu die Vorgeschichte, die Umstände des Ausbrechens der Nesselsucht und deren Verlauf und hat dabei die lange Liste möglicher Auslöser im Blick. Nach ihnen teilen die Mediziner die Erkrankung in unterschiedliche Formen ein.

Die physikalische Nesselsucht entsteht durch äußere Reize wie Reibung oder Licht, Kälte, Wärme oder Druck. Bei der cholinergischen Nesselsucht ist ein Anstieg der Körpertemperatur durch Fieber, durch Sport oder Stress der Auslöser. Kontakt-Nesselsucht tritt an der Hautstelle auf, die mit einem bestimmten Inhaltstoff von Kosmetika oder auch einer Chemikalie in Berührung gekommen ist. Nahrungsmittel assoziierte Nesselsucht ist das Symptom einer echten oder Pseudo-Lebensmittelallergie. Darüber hinaus können Medikamente, Infektionen und Erkrankungen eine Nesselsucht verursachen.

Die Suche nach dem Auslöser gleicht der nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Hilfreich können Aufzeichnungen in einem Kalender oder Tagebuch sein. Das Ergebnis des Aufwandes ist nicht immer zufriedenstellend für die Patienten. „In bis zu 40 Prozent der Fälle wird tatsächlich keine Ursache gefunden”, sagt Schliemann. Und selbst wenn der Auslöser erkannt wird - bei Weitem nicht immer lässt sich dieser im Alltag vermeiden und damit der nächste Ausbruch vermeiden.

Für die Mehrheit der Patienten ist damit eine weitere medikamentöse Behandlung unumgänglich. Bis vor kurzem wurden dafür ausschließlich Antihistaminika eingesetzt. „Sie sind im Laufe der Jahre immer besser geworden. Heute sind die Nebenwirkungen stark eingeschränkt”, erklärt Maurer. Derzeit sind bei uns sieben Antihistaminika für die Behandlung von Nesselsucht zugelassen. „Das Problem ist, dass nur knapp die Hälfte der Patienten damit beschwerdefrei wird.”

Seit Anfang dieses Jahres gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, Patienten, bei denen Antihistaminika nicht helfen, den Anti-IgE-Antikörper Omalizumab unter die Haut zu spritzen. „Durch diese vorbeugende Therapie werden nach bisherigen Studien 60 bis 90 Prozent der Behandelten beschwerdefrei. Die Wirkung hält vier bis sechs Wochen an”, sagt Maurer. Durch regelmäßige Absetzversuche alle sechs bis zwölf Monate werde überprüft, ob die Beschwerden ohne Behandlung wieder auftreten.

(dpa)