Hamburg/Berlin : Berufswahl früh starten und Alternativen im Kopf behalten
Hamburg/Berlin Die Beliebtheit von Berufen folgt Trends und orientiert sich an Klischees. In Deutschland gibt es rund 350 Ausbildungsberufe. Die meisten Jugendlichen konzentrieren sich bei der Suche nach Lehrstellen auf ein knappes Dutzend davon. Damit vergeben sie oft Chancen.
Denn in traditionell unterschätzten Berufszweigen wie dem Fleischerhandwerk oder weniger bekannten neuen Ausbildungsberufen gibt es häufig bessere Entwicklungsmöglichkeiten als bei der überlaufenen Konkurrenz. Wichtig ist aber auch, mit der Berufswahl früh zu beginnen - Schulabgänger 2010 starten am besten jetzt.
„Natürlich gibt es die Top 10 der beliebtesten Berufe. Aber es gibt auch eine Top 100, die spannende Alternativen bietet. Jeder Bewerber kann zahlreiche Traumberufe definieren”, sagt Knut Böhrnsen, Sprecher der Hamburger Agentur für Arbeit.
Immer wieder stelle man fest, dass sich Jugendliche vorschnell auf einen bestimmten Beruf festlegten, anstatt offen für Alternativen zu sein. Auch Thilo Pahl, Ausbildungsexperte des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) in Berlin, rät zu mehr Kreativität. Es sei von großem Vorteil, sich frühzeitig mit einer „Palette” von Optionen zu befassen.
Für technikbegeisterte Schulabgänger müsse es ja nicht immer die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker sein, sagt Pahl. Als Fachkraft für Wasserversorgungswirtschaft beispielsweise gebe es eine bislang nur wenig bekannte, aber „wunderbare Alternative”. Bei ihr könnte man sich zum Spezialisten in dem zukunftsträchtigen Bereich der Trinkwasser-Versorgung und -aufbereitung entwickeln.
Auch der Beruf des Bergbautechnikers werde oft unterschätzt. Dabei gehe es dort längst nicht mehr um Arbeit im kriselnden Kohleabbau, sondern um die Gewinnung von Erdwärme in Geothermieprojekten, Brunnenbau oder sogar Auslandseinsätze auf Bohrinseln.
Wie sehr ganze Berufsfelder bei der Suche nach Nachwuchs unter einem bestimmten Image leiden, weiß auch Gero Jentzsch, Sprecher des in Frankfurt/Main ansässigen Deutschen Fleischer-Verbands (DFV). Dass die Branche bei ihrer Nachwuchsrekrutierung seit Jahren Probleme hat, führt er darauf zurück, dass viele veralteten Vorstellungen anhängen und Jugendlichen in Zeiten von Fastfood, Discount-Märkten und Tiefkühlkost zunehmend der Bezug zu frischen Lebensmitteln fehlt. „Das Berufsbild ist in den Köpfen der Leute ein bisschen veraltet”, sagt Jentzsch.
Doch der Beruf des Fleischers habe sich stark verändert und modernisiert. Viele der 16.000 Fachbetriebe seien bereits vor allem im Partyservice und im Catering aktiv, wo sie private Veranstaltungen oder kommunale Einrichtungen wie Kindergärten mit küchenfertigen Erzeugnissen belieferten.
In vielen Unternehmen, die oft aus mehreren Filialen bestünden, gehe es heute oft eher um die Herstellung von Fingerfood, Veranstaltungsmanagement oder moderne Marketingformen als um klassische Schlachterei. „Man kann tatsächlich sehr kreativ sein in diesem Beruf.” Zudem gebe es in den Branche gerade wegen des Nachwuchsmangels gute Aufstiegschancen.
Ähnliche Mechanismen sieht Arbeitsagentur-Experte Böhrnsen auch im Hotel- und Gaststättengewerbe, vor allem bei der Systemgastronomie: Bei der dächten Jugendliche oft automatisch ans Hamburger-Braten. Dabei böten die neuen Unternehmens- und Vertriebsformen in Gestalt von Franchise-Ketten ein spannendes Betätigungsfeld, in dem unterschiedliche Qualifikationen von kaufmännischer Kalkulation über Fähigkeiten im Kundenkontakt bis hin zum Knowhow bei der Filial-Einrichtung gefragt seien.
Einflussfaktoren wie die Höhe der Ausbildungsvergütung hält Böhrnsen nicht für entscheidend, wenn es um Abneigungen gegen einzelne Berufe geht. Das sei ein Punkt, der eher verstärkend wirke. Die meisten Jugendlichen wollten sich mit dem angestrebten Beruf identifizieren. Tatsächlich gibt ihm die jüngste Statistik der Arbeitsagentur in Hamburg recht: Der nicht eben für sein fürstliches Gehalt bekannte Beruf des Friseurs lag in der Hansestadt dieses Jahr auf Platz sieben der Rangliste der beliebtesten Ausbildungen.
Für entscheidender hält Böhrnsen, dass Jugendliche bei der Berufswahl oft zu einfallslos vorgingen und so immer wieder bei denselben Branchen landeten. Die Suche nach dem richtigen Job sei im Idealfall ein längerer Prozess, bei dem sich der Jugendliche durch Ferien- und Nebenjobs, Praktika, Gespräche mit Angehörigen und Freunden sowie Beratungsangebote vorantaste.
Junge Menschen müssten offen sein. „Das Angebot ist da, keiner kann sich verstecken”, sagt Böhrnsen. Dazu gehöre auch, sich früh über Gedanken zu machen. Berufswahl bedeute: strategisch vorgehen, recherchieren, auswählen und auf Unternehmen zugehen. „Intensiv betrieben ist die Berufswahl spannender als ein Krimi, nur dauert er länger.”