Berlin : Vom Chief Thinker bis zum Scrum Master: Neue Jobs in der IT-Welt
Berlin Raumfahrer, Lokführerin, Tierarzt oder Feuerwehrfrau: Das sind nach wie vor die klassischen Berufswünsche der Sechsjährigen. Vielleicht finden sich aber künftig ein paar Nachwuchs-Fachkräfte, die Technology Evangelist werden wollen oder von einem Leben als Chief Thinker träumen.
Und andere planen vielleicht ihre Zukunft als Answer Bar Representative.
All diese merkwürdigen Titel finden sich in Jobbörsen tatsächlich. Dahinter verbergen sich in der Regel Berufe aus der Welt der Informationstechnik (IT) oder deren Dunstkreis. Oft handelt es sich bei den Firmen, die solche Stellen ausschreiben, um Start-ups. Im Netz gibt es sogar schon eine Automatik für die Titel: Der startupjobtitlegenerator.com spuckt hübschen Unfug wie den Entry Level Wireframe Fixer oder den Lightweight Digital Daddy aus.
Grund für den Trend zum blumigen Titel ist vor allem der technische Fortschritt. Der produziert neue Betätigungsfelder für IT-Abteilungen und -Dienstleister. „Die großen Themen, die in Zukunft den Arbeitsmarkt bestimmen, sind unter anderem Cloud Computing, Big Data und der ganze Themenkomplex Industrie 4.0”, nennt Stephan Pfisterer vom Branchenverband Bitkom ein paar Beispiele.
Wo es neue Themen gibt, finden sich auch neue Jobs: Experten für Cloud Computing müssen zum Beispiel den Datenabgleich zwischen einem Computer im Büro und dem Server in der „Wolke” regeln. Große Datenmengen (Big Data) verlangen nach Experten, die das Dickicht nach Brauchbarem durchforsten - den sogenannten Data Scientists. Und bei der Industrie 4.0 geht es unter anderem darum, die Zusammenarbeit vernetzter Maschinen in Fabriken zu organisieren.
„Die Anforderungen an spezialisierte IT-Berufe und die Bedeutung von IT-Fachkräften haben zugenommen”, sagt Tobias Kollmann, Prof. für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen. Im Kern sind solche Fachkräfte zwar meistens Informatiker. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Informatik-Absolvent die spezialisierten Aufgaben erledigen kann.
Um das Feld der Bewerber einzugrenzen, greifen Firmen deshalb schon im Jobtitel auf Fachbegriffe zurück. Ein Android Developer ist also kein Entwickler, der wie ein Roboter arbeitet, sondern schlicht ein Kenner des gleichnamigen Betriebssystems. Und ein Scrum Master ist ein Projektleiter, der mit der Management-Methode Scrum umgehen kann.
Manchmal verbergen sich hinter den Titeln nicht nur Spezialisierungen, sondern ganz neue Jobs. „Es gibt ganz viele neue Berufsbilder, für die es aber noch keine Ausbildungswege und keine passenden Bezeichnungen gibt”, sagt Kollmann. „Die Ausbildung konzentriert sich auf klassische Informatik und klassische BWL, die neuen Berufe sind aber oft im weiten Bereich dazwischen zu finden.”
Ein gutes Beispiel dafür ist der Monetisation Manager, der etwa bei einem Entwickler von Computerspielen arbeitet. Er sucht dort nach Methoden, dass Nutzer bei eigentlich gratis angebotenen Spielen Geld bezahlen. Der Job des Technology Evangelist oder „Technologie-Missionars” ist es derweil, Kunden oder Nutzer für die Neuentwicklung eines Unternehmens zu begeistern.
Natürlich setzen die Firmen bei solchen Titeln auch auf einen Marketingeffekt, sagt Kollmann. „Ein gut klingender Titel ist gut für das Selbstwertgefühl.” Im Extremfall entsteht so ein „Answer Bar Representative”, der früher einfach ein Rezeptionist war. Und die Aufgaben des Chief Thinker liegen irgendwo zwischen radikalen Ideen und der Gesamtstrategie einer Firma. Man könnte auch Chef sagen.
Selbst solche Titel sind aber mehr als nur Augenwischerei: „Start-ups sind ein eigener Bereich, dort wird eine eigene Kultur gepflegt”, sagt Bitkom-Experte Pfisterer. „Die suchen oft keine spezialisierten Fachkräfte, sondern sehr flexible Leute, die sich auf neue Dinge einlassen und kreativ arbeiten wollen.” Wer sich statt eines schnöden Marketing-Managers Growth Hacker nennen darf, ist vielleicht eher bereit, über den Tellerrand seines Aufgabenbereichs zu blicken.
So profitieren von den Titeln auch die Bewerber, sagt Pfisterer: „Die Jobtitel sind ein guter Indikator, was das Unternehmen ausmacht und welche Sorte Mensch es sucht.” Gerade im kleinen, arbeitsintensiven Umfeld eines Start-ups sei es besonders wichtig, dass Mitarbeiter und Firma auch in ihrer Persönlichkeit zueinanderpassen.
Dass es theoretisch ganz ohne Titel geht, zeigen Management-Methoden wie Holacracy: Damit sollen Firmen theoretisch ohne feste Jobtitel und Hierarchien auskommen. An ihre Stelle treten Teams und Mitarbeiter, die ihre Arbeit nach Bedarf immer neu organisieren. „Im Idealfall sorgt das dafür, dass sinnlose Arbeit wegfällt und notwendige erledigt wird”, sagt Martin Röll, der die Methode in seiner Unternehmensberatung selbst verwendet.
Gibt es in Zukunft statt möglichst blumiger Titel also gar keine mehr? Statt fester Aufgabengebiete machen alle irgendwie alles? Ganz so krass ist es nicht, sagt Röll: „Holacracy sorgt nicht dafür, dass Organisationen gezielt nach Multitalenten suchen. Aber es kann schon passieren, dass Techniker zum Beispiel Designrollen übernehmen - das ist dann ein schöner Nebeneffekt.”