Husum : Dem Himmel entgegen: Drachenbauer sind Künstler und Konstrukteure
Husum Für die einen sind alle Drachen nur bunte Punkte am Herbsthimmel. Doch die Experten unterscheiden Ein-, Zwei- und Vierleiner und erkennen Lenk-, Trick- und Speeddrachen an ihrem Flug. Über Schleifen als Leinenschmuck können sie nur lächeln - derzeit verkaufen sich Pfeifen gut, damit der Drache summt. Drachen sind vielmehr als nur ein Spielzeug für Kinder im Herbst.
Entlang der Küsten hat sich eine Drachenszene etabliert. Auch für sie produziert die Handvoll Firmen, die in Deutschland auf den Drachenbau spezialisiert ist. Vom Drachendesigner über den -produzenten bis zum Verkäufer im Drachengeschäft reicht die Palette der Jobs.
Rainer Hoffmann hat den Außenseiter entworfen, ein Windspiel, das zum Beispiel im Technischen Museum in Berlin steht. Er hat sich den Drachen Bowkite ausgedacht, der so erfolgreich ist, dass die Drachenbaufirma Invento ihn seit mehreren Jahren im Katalog hat.
Und er ist der Erfinder eines Drachens in Form eines Dinosauriers, der mit seinen sieben Metern Spannweite der Publikumsliebling jedes Drachenfestivals ist.
Hoffmann ist einer der bekanntesten Drachendesigner in Deutschland. Seine Drachen finden Käufer in Amerika, Dänemark, England, Frankreich und sogar Indien. Überall war er schon zu Drachenfestivals eingeladen.
Hoffmann, 59 Jahre alt, ist eigentlich Angestellter im öffentlichen Dienst in Husum. Rund 300 Drachen hat er bis heute schätzungsweise entworfen - rund 20 davon gingen in die Serienproduktion. Mit 22 Jahren geriet er zufällig auf ein Drachenfest am Strand von Sankt Peter-Ording und war sofort fasziniert.
Gleich nach dem Fest kaufte er sich seinen ersten Lenkdrachen. Später lieh er dann in der Bibliothek ein Buch mit Anleitungen zum Drachenbauen aus. „Mit der Nähmaschine der Mutter habe ich dann den ersten Lenkdrachen selbst gebaut”, erzählt er.
Heute versucht er, jedes Jahr einen neuen Drachen zu entwerfen. Nebenbei gibt er Workshops, zum Beispiel in Schulen. „Am Anfang schießt mir eine Idee durch den Kopf”, erzählt er. Das kann zum Beispiel ein Bericht im Magazin „Spiegel” über Dinosaurier sein.
„Dann überlege ich mir, welche Farben passen zu dem Modell? Welche Größe soll der haben? Wie bringe ich den bei ungewöhnlichen Formen ans Fliegen?” Geht ein Entwurf in die Serienproduktion, bekommt er für jeden Drachen einen festen Prozentsatz vom Verkaufspreis. Leben könnte er davon aber nicht.
Elliot, Wolkenstürmer, Colours in Motion und Invento: Wer sich wirklich für einen Job im Drachenbau interessiert, sollte sich an eines dieser Unternehmen wenden. Sie zählen zu den größeren Firmen in Deutschland, die Drachen noch selbst entwickeln und produzieren. Rainer Kuhlmann ist bei Invento, einem Spielzeuggroßhandel mit mehr als 30 Mitarbeitern. Dort ist er zuständig für die Produktentwicklung von Kinderdrachen, Einleinern und Werbedrachen.
Im Herbst sichtet er die Entwürfe von Designern wie Hoffmann und überlegt mit seinen Kollegen, welche Drachen im nächsten Jahr in Deutschland auf den Markt kommen sollen. Sie entscheiden, welche Motive auf den Kinderdrachen zu sehen sein werden und welche neuen Modelle es für Erwachsene gibt.
Ist die Entscheidung gefallen, setzt er sich selbst in der Werkstatt an die Nähmaschine und baut ein Muster. Möglicherweise werden kleine Änderungen vorgenommen - dann geht das Ganze in die Produktion.
Anfang der 90er Jahre produzierte Invento noch in Deutschland. Um die Jahrtausendwende gingen sie nach Polen, weil die Produktion dort billiger war. Bis zu 50 Näherinnen arbeiteten dort zeitweise, um Tausende von Drachen für den deutschen Markt zu produzieren. Mittlerweile produziert Invento in China.
Wer das Hobby zum Beruf machen möchte, und ins Drachengeschäft einsteigen will, hat es nicht leicht. Eine spezielle Ausbildung im Drachenbau gibt es nicht. Früher hat es an der Universität der Technischen Universität Berlin einmal einen Lehrstuhl Drachenbau gegeben.
Die Fluggefährte wurden für meteorologische Messungen gebraucht. Doch heute ist das Handwerk aus der Mode gekommen. Kuhlmann empfiehlt deshalb, eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann zu machen. Dann lernten Jugendliche schon einmal das kaufmännische Grundverständnis. Eine Alternative sei, ein Handwerk zu lernen. Das kann zum Beispiel eine Ausbildung zum Segelmacher sein.
Und natürlich ist eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann sinnvoll, erzählt Michael Steltzer. Er ist der Inhaber von Flying Colors, dem ältesten Drachenladen Berlins. Allein an Kinderdrachen hat er Dutzende von Modellen im Angebot.
Die Auszubildenden beraten zum Beispiel die Kunden und erklären die Unterschiede zwischen den verschiedenen Drachen. Doch bei den Drachenläden hat sich einiges verändert: „Mitte der 90er Jahre gab es einen richtigen Boom mit den Drachen”, erinnert sich Kuhlmann.
Jedes Wochenende gab es an einem anderen Ort ein Drachenfestival. Eine deutsche Drachenmeisterschaft wurde ausgetragen. Doch die Zeiten sind vorbei. Nun sind Kiteschirme im Trend.