Ingolstadt/Losheim : Mehr Sicht für mehr Sicherheit: Neue Technik gegen Nachtunfälle
Ingolstadt/Losheim Stephan Berlitz arbeitet mit seinen 100 Mitarbeitern in einem Schattenreich. Im Keller der elektronischen Entwicklung bei Audi in Ingolstadt konstruiert der leitende Ingenieur neue Lichtsysteme für die Fahrzeuge des deutschen Autobauers. Doch auch im besten Lichtkanal lässt sich nicht alles testen. Deshalb rollen die Experten oft bis in die frühen Morgenstunden mit ihren Prototypen durch die Dunkelheit - ein Job für Nachteulen.
Aber Berlitz weiß auch: „Scheinwerfer werden immer wichtiger.” Nicht nur als Designobjekt, sondern auch als zentrales Sicherheitselement. „Je besser man sieht, desto weniger gefährliche Situationen gibt es”, sagt der Entwickler.
Die Unfallstatistik weist nachts deutlich mehr und schwerere Zwischenfälle aus als am Tag. „Und das, obwohl die Verkehrsdichte dann sehr viel geringer ist.” Um das Unfallrisiko nachts zu mindern, greifen die Hersteller mittlerweile tief in die Tasche: Der Prototyp eines neuen Scheinwerfers könne schon mal eine Viertelmillion Euro kosten, sagt Berlitz.
Im vergangenen Sommer haben Berlitz und sein Team die sogenannten Matrix-Scheinwerfer für das A8-Facelift erprobt. Die ab November lieferbare Fassung der Luxuslimousine bekomme erstmals Scheinwerfer, deren jeweils 25 LED-Module einzeln angesteuert werden können, sagt Berlitz.
„So kommen wir ohne jede mechanische Komponente auf fast eine Milliarde verschiedener Verteilungen und können wirklich in jeder Situation das richtige Licht auf die Straße bringen.”
Audi nutzt die Technik vor allem für ein blendfreies Dauerfernlicht. Einmal aktiviert, strahlen die aufpreispflichtigen Scheinwerfer außerorts immer mit voller Leuchtkraft, erläutert Berlitz. Statt bei Gegenverkehr oder einem vorausfahrenden Auto abzublenden, werden von einer Kamera gesteuert nur einzelne Segmente gedimmt und so die anderen Verkehrsteilnehmer buchstäblich ausgeblendet.
Weil der Scheinwerfer zudem mit dem Navigationssystem gekoppelt ist, kann er laut Audi schon vor dem Lenkeinschlag in Kurven leuchten oder vor Kreuzungen den Lichtkegel etwas auffächern.
Audi ist mit dem Matrix-Licht der erste Hersteller am Markt, doch die Konkurrenz zieht nach. Mercedes hat die Technologie für das nächste Jahr angekündigt und wird sie nach Einschätzung von Branchenkennern zunächst in der S-Klasse einführen.
Auch Opel hat bereits vor einem guten Jahr einen solchen Prototypen präsentiert und in Aussicht gestellt, dass diese Technik zur Mitte des Jahrzehnts in Serie geht. „Dann zwar mit abgespecktem Leistungsumfang, aber dafür nicht nur in der Oberklasse”, sagte ein Sprecher.
BMW geht beim i8 sogar noch einen Schritt weiter: „Als weltweit erstes Fahrzeug gibt es den elektrischen Sportwagen auf Wunsch auch mit Laser-Licht”, sagt Sprecher Cypselus von Frankenberg. Das Licht sei rein weiß, sehr hell, in der Wahrnehmung sehr angenehm und werde in nahezu parallelen Bündeln mit hoher Leuchtdichte ausgestrahlt.
Das ermögliche eine tausendfach intensivere Aufhellung als herkömmliche LED-Einheiten und eine besonders präzise Steuerung. „Und zwar bei einem um mehr als die Hälfte reduzierten Energieverbrauch.”
Nicht nur die Frontscheinwerfer werden bei den Autoherstellern immer wichtiger: Auch Blinker und Rückleuchten geraten in den Fokus. Audi baut in den Supersportwagen R8 und nun auch in den A8 neuartige Blinker ein.
Auch sie nutzen LED-Technik und flackern nicht mehr einfach auf, sondern wischen in die gewünschte Richtung: „Selbst wenn Teile des Fahrzeugs verdeckt sind, kann der Hintermann dadurch intuitiv erkennen, wohin das Fahrzeug abbiegen möchte”, sagt Berlitz. „Außerdem sieht es einfach cooler aus.”
Noch einen Schritt weiter geht Audi mit einer intelligenten Rückleuchte, die laut Berlitz aber noch in der Erprobung ist: Mit einer LED-Projektion zaubert sie einen roten Balken auf die Fahrbahn und hält den Hintermann damit optisch auf Distanz.
Bei Nebel und schlechter Sicht wird daraus eine Art Warndreieck, das laut Berlitz viel effektiver ist als eine konventionelle Nebelschlussleuchte und obendrein wieder unsichtbar wird, wenn sich die Sicht verbessert.
Bereits in Serie ist eine neue Warntechnologie in der Mercedes S-Klasse: Die Schwaben nutzen ihren Abstandsradar und blinkende Rückleuchten, um den Hintermann vor einem zu geringen Sicherheitsabstand zu warnen, teilt das Unternehmen mit.
Was darüber hinaus mit der Beleuchtung noch alles möglich ist, zeigt ein Forschungsfahrzeug von Edag: Der Entwicklungsdienstleister aus Fulda nutzt LED- und Projektionstechnik, um damit sogar Botschaften auf den Asphalt zu schreiben und so zum Beispiel Passagiere für Mitfahrgelegenheiten zu werben. Aber das ist noch Zukunftsmusik.
Scheinwerfer können zwar das Sichtfeld aufhellen. Aber die Augen des Fahrers ersetzen sie nicht. Deshalb helfen die Fahrzeughersteller mit immer mehr Kameras nach und bieten mittlerweile bis hinunter in die Mittelklasse Nachtsichtsysteme an.
Seit ein paar Jahren können diese Systeme auch Fußgänger erkennen und mit Lichtspots markieren. Diese Technologie gibt es bereits im 7er BMW, in der Mercedes S-Klasse und im Audi A8. In der neuen S-Klasse warnt das System vor Hirschen oder Keilern am Straßenrand und beugt so Wildunfällen vor.
Intelligente Scheinwerfer, gleißend helle Leuchtmittel und Kameras, die schärfer sehen, als das menschliche Auge - nie waren Nachtfahrten sicherer als in den aktuellen Neuwagen vor allem der Oberklasse, sagt Kfz-Experte Thomas Schuster von der Sachverständigenorganisation KÜS in Losheim.
„Doch die ganze Technik hilft nichts, wenn der Fahrer sich nicht um die Wartung seines Wagens kümmert.” Ohne den regelmäßigen Austausch der Wischerblätter, einen vollen Tank mit Waschwasser samt Reiniger und Frostschutz, freie Lüfterdüsen und korrekt eingestellte Scheinwerfer riskiere man auch im modernsten Auto einen Blindflug, mahnt der Experte.