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Ein Jahr im Amt: Von der Leyens One-Woman-Show

Ein Jahr im Amt : Von der Leyens One-Woman-Show

Seit einem Jahr sind die EU-Kommissionspräsidentin und ihr Team im Amt. Sie wisse, wie man etwas gut verkauft, aber eben nicht, was sie verkaufen soll, sagen Kritiker. Und zugleich: „Es war nicht alles schlecht.“

Es ist wieder eine dieser bunten Broschüren mit hübschen Grafiken und interessanten Schaubildern. Auf 32 Seiten werden darin die Verdienste der Europäischen Kommission ausgebreitet. Seit Montag liegt das Heft bei den Dienststellen der Kommission aus. Schließlich sind Präsidentin Ursula von der Leyen und ihr Team an diesem Dienstag ein Jahr im Amt. Die Marketing-Experten der EU-Behörde haben wieder einmal ganze Arbeit geleistet: Die Chefin wird bei einer virtuellen Konferenz gezeigt, von ihrer Mannschaft fehlen Fotos. Eine One-Woman-Show. Das ist von der Leyens Stärke und zugleich ihr größtes Problem.

Schon die ersten Tage ihrer Amtszeit begannen mit großen Worten. Den Green Deal, also der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft auf eine klimaneutrale Zukunft hin, verglich von der Leyen bei der Präsentation mit der „Mondlandung“. „Pathetische Überschriften, aber wenig Substanz“ analysierten viele Europa-Abgeordnete. Ob Industrie-Strategie oder Digitalisierung – die Präsidentin blieb bei ihrer Linie, Vorhaben erst vollmundig anzukündigen und die Details auf später zu verschieben.

Als vor wenigen Wochen dann die Details zuerst durchsickerten, war die Harmonie dahin. Es ging um die künftigen Grenzwerte für Pkw sowie die für Ende nächsten Jahres geplante Euro-7-Abgasnorm. Das Papier enthielt so viel technischen Unsinn, dass es den Kritikern leicht fiel, es in der Luft zu zerreißen. In dem Denkstück war beispielsweise der Grenzwert für Stickoxid so niedrig veranschlagt worden, dass die bei den Messgeräten übliche Ungenauigkeit höher war. Als von der Leyen sich der christdemokratischen Fraktion stellte, hagelte es Kritik. Der Vorfall ist typisch – nicht, weil ein Entwurf an die Medien „durchgestochen“ worden war.

Dafür kann niemand die Präsidentin zur Verantwortung ziehen. „Viel schlimmer war, dass sie keine Strategie und keinen Plan hatte“, erzählte ein Abgeordneter hinterher. „Sie weiß, wie man etwas verkauft, ohne zu wissen, was sie verkaufen soll“, sagen Kritiker, die von einem offenen Machtkampf in der Kommission sprechen, weil die Präsidentin und ihre Stellvertreter nicht selten gegeneinander arbeiten.

In der Coronavirus-Krise lief von der Leyen zunächst den Mitgliedstaaten hinterher. Selbst Amtsvorgänger Jean-Claude Juncker bilanzierte vor wenigen Tagen mitleidig: „Man kann niemandem erklären, dass Europa grenzenlos ist und wenn etwas passiert, werden die Grenzen wieder hochgezogen.“ Von der Leyen machte erst wieder Boden gut, als ihre Behörde in die Verhandlungen mit den Pharmariesen einstieg und bis heute fast 1,5 Milliarden Impfdosen sicherte. „Sie hat sich ganz gut geschlagen“, sagte in diesen Tagen die Grünen-Fraktionschefin Ska Keller.

Das wirklich „große Ding“, so der Vorsitzende der deutschen SPD-Abgeordneten im EU-Parlament, Jens Geier, gelang ihr, als sie einen Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron regelrechte okkupierte und noch drauflegte. Die beiden wollten 500 Milliarden für den Wiederaufbau nach der Pandemie bereitstellen. Von der Leyen machte 750 Milliarden daraus. Und verkaufte den Erfolg einmal mehr schillernd: Das Paket aus 1,1 Billionen Euro für den Haushalt 2021 bis 2027 plus Aufbaufonds erhielt den Projektnamen „Next Generation EU“ . Die Gemeinschaft soll eben plakativ und für alle sichtbar sein.

Aber sogar die Kritiker von der Leyens räumen ein: „Es war nicht alles schlecht“, wie es der CDU-Europapolitiker Dennis Radtke ausdrückte. Und ausnahmslos jede Bilanz des ersten Jahres verweist auf die „beispiellosen Probleme“. Dass Polen und Ungarn gerade das Milliarden-Hilfspaket der Gemeinschaft blockieren, kann man in der Tat nicht von der Leyen anlasten. Für ihr erstes Amtsjubiläum am Dienstag sei kein besonderer Auftritt geplant, hieß es in Brüssel.

Soll heißen: Die Präsidentin hat zu viel zu tun. Nur allzu gerne würde sie vor Jahresende noch einen Erfolg schaffen: einen Deal bei den Handelsgesprächen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich.