UN-Botschafter im Gespräch : „Es ist ein Wert an sich, dass die Welt zusammenkommt“
Interview New York/Berlin UN-Botschafter Christoph Heusgen hat sich vielen internationalen Krisen stellen müssen. Den Glauben an die Vereinten Nationen hat er nicht verloren. Ein Interview.
UN-Botschafter Christoph Heusgen zieht Bilanz: Zwei Jahre UN-Sicherheitsrat, 40 Jahre im Dienst der deutschen Außenpolitik. Im Telefongespräch benennt der 65-Jährige Kriege als schreckliche Tiefpunkte und viele kleine Schritte zu Frieden und Zivilgesellschaft als Höhepunkte. Das Gespräche führte Kristina Dunz.
Herr Heusgen, der zweijährige nichtständige Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat geht zu Ende. Welche Auswirkungen hatte Donald Trumps Präsidentschaft auf das Gremium?
Christoph Heusgen: Mit Russland und China und leider auch mit der Trump-Administration hatten wir, seit ich 2017 UNO-Botschafter wurde, drei der fünf Veto-Staaten im Sicherheitsrat, für die nicht das oberste Ziel war, dem internationalen Recht und Menschenrechten den Vorrang einzuräumen. Es ist bedrückend, dass das Leiden der Menschen in Jemen oder in Syrien bisher nicht beendet werden konnte. Amerika unter Trump hat viele völkerrechtlich verbindliche Resolutionen ignoriert oder das Nuklearabkommen mit dem Iran aufgekündigt. Was die Rückkehr zu zentralen Abkommen angeht, setze ich sehr auf Joe Biden, der schon gesagt hat, dass er etwa zum Pariser Klimaabkommen zurückkehren und Amerika die UNO wieder ernster nehmen will. Aber eines ist klar: Die USA wird ihre Rolle, die sie im Nachkriegs-Europa spielte, nie wieder spielen. Wir werden als Europäer mehr Verantwortung übernehmen und uns im globalen Wettbewerb mit Russland und China noch breiter aufstellen müssen. Drei wesentliche Pfeiler sind: Europa, die enge deutsch-französische Zusammenarbeit und die transatlantischen Beziehungen.
Werden die Vereinten Nationen zusammenhalten?
Heusgen: Wenn man über den jetzigen Zustand der VN – berechtigterweise – klagt, sollte man sich auch an frühere Zeiten, wie den Kalten Krieg erinnern, als es auch viele Blockaden im Sicherheitsrat gab. Das war aber nie ein Grund, die UNO aufzugeben. Es ist ein Wert an sich, dass hier die Welt zusammenkommt. Ob die Vereinten Nationen als friedens- und sicherheitsschaffende Institution weiterkommen, hängt davon ab, ob es gelingt, gemeinsame Grundlagen – vor allem im Sicherheitsrat – zu finden. Das wird mit den USA unter Joe Biden gewiss leichter sein.
Was zählt zu den Errungenschaften?
Heusgen: Positive Erlebnisse sind, wenn es beispielsweise gelingt, Mandate zu erneuern. Oder die Verabschiedung der deutschen Sicherheitsratsresolution 2467 zur Bekämpfung sexueller Gewalt in Konflikten – im Beisein der Nobelpreisträger Nadia Murad und Dennis Mukwege in New York. Zudem die Resolution zur Bekräftigung der Ergebnisse der Berliner Libyen-Konferenz vom Januar 2020. Oder – wenn ich den Blick über die aktuelle Sicherheitsratszeit hinaus weite – die Veränderung der personellen Strukturen im Auswärtigen Amt: Als ich 1980 anfing, arbeiteten dort fast nur Männer im höheren Dienst, das hat sich heute gebessert. Ich beispielsweise habe in New York ein wunderbares Team, darunter viele junge, sehr engagierte Mitarbeiter, mehrheitlich Frauen.
2020 hatten die USA die G7-Präsidentschaft, doch es gab kein Gipfeltreffen. Kann der noch nachgeholt werden?
Heusgen: Die Tatsache, dass es unter amerikanischer Präsidentschaft 2020 keinen G7-Gipfel gegeben hat, sagt einiges über die Trump-Administration aus. Wenn die neue US-Administration unter Joe Biden dies noch nachholen könnte, wäre dies auch ein klares Signal, dass die USA zurück sind im Kreis derer, die ihre Politik auf die gleiche Grundlage stellen.
Grundprobleme werden bleiben, etwa der Streit der Nato-Staaten um die Verteidigungsausgaben.
Heusgen: Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato hat auch sehr viel Symbolik. Wenn wir in Deutschland eine große Rezession hätten, und zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben aufwenden würden, wäre das Ziel leicht erfüllt, ohne einen höheren Wert geschaffen zu haben. Es kommt weniger auf die reine Prozentzahl als auf die tatsächlich zur Verfügung gestellten Fähigkeiten an. Wenn man auf der Welt Frieden schaffen und bewahren will, braucht man mehr als militärische Mittel. Polizei ist beispielsweise bei UNO-Einsätzen wichtig. Polizistinnen und Polizisten haben, wie auch Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer, oft den viel engeren Kontakt zur Bevölkerung vor Ort. Oft sind auch Frauen als Vermittlerinnen in Konflikten gefragt. Deutschland ist insgesamt sehr gut aufgestellt, wenn es um Beiträge zum internationalen Krisenmanagement geht. Wir sind der zweitgrößte Geber zum gesamten UNO-System. Das sollte in der Debatte berücksichtigt werden, wenn man über die Höhe von Verteidigungsausgaben spricht.
In Deutschland haben Sie für Ex-Außenminister Klaus Kinkel und Bundeskanzlerin Angela Merkel gearbeitet. Welchen Einfluss hatten beide auf Sie?
Heusgen: Klaus Kinkel hat mich mit seiner Geradlinigkeit beeindruckt und beeinflusst. Er hat Themen offen und direkt angesprochen. Aber der größte und wichtigste Einfluss in meinen 40 Berufsjahren waren die zwölf Jahre bei der Bundeskanzlerin. In der Zusammenarbeit hat mich ihre analytische Herangehensweise und das sorgfältige Abwägen von Alternativen vor Entscheidungen sehr beeindruckt.Ihre Politik beruht auf einem festen Wertefundament. Mit politischem Weitblick hat sie stets Deutschlands langfristige Ziele und Interessen vor Augen.
Gibt es so etwas wie das herausragende Erlebnis in Ihren zwölf Jahren als außen- und sicherheitspolitischer Berater der Kanzlerin?
Heusgen: Das Einschneidendste in meiner Zeit im Kanzleramt war die russische Annexion der Krim und die Besetzung des Donbass. Bei den Verhandlungen in Minsk mit Kiew und Moskau, die dann im Normandie-Format weitergeführt wurden, war Deutschland mit Frankreich der Hauptakteur, die USA blieben im Hintergrund. Das war eine Wegscheide. Von da an war klar, dass sich Deutschland und Europa international mehr engagieren und mehr Verantwortung übernehmen müssen, etwa auf dem Balkan oder später für Libyen.
Was war der Tiefpunkt in Ihrer Laufbahn?
Heusgen: Das war sicher das Erleben des Völkermords in Ruanda und Burundi. Es war schrecklich, dass wir da als Internationale Gemeinschaft nicht mehr gemacht haben. Ein weiterer sehr schwerer Moment war der Jugoslawien-Krieg.