1. Politik
  2. Welt

Chaya Tal aus Köln-Chorweiler lebt in der Siedlung Gush Etzion

Ein Wohncontainer als politisches Statement in den Palästinensischen Gebieten : Wie lebt eine jüdische Siedlerin im Westjordanland?

Chaya Tal ist im Alter von 19 Jahren aus Köln nach Israel ausgewandert. Dort lebt sie als Jüdin in den Palästinensischen Gebieten – und trotzt allen Vorurteilen.

Chaya Tal lässt sich nicht in eine Schublade stecken, obwohl man sich schnell dabei ertappt, wenn man der 26-Jährigen mit dem strahlenden Lächeln und den wilden braunen Locken gegenübersteht. Sie spielt mit den Attributen, die man ihr nur allzu leicht zuordnen kann: national-religiöse Jüdin, Siedlerin, Aktivistin, Bloggerin.

Tal ist eine von 450.000 Israelis, die sich aus religiösen Gründen im Westjordanland niedergelassen haben. Dabei hätte die junge Frau auch ein ganz anderes Leben wählen können. Im Alter von acht Jahren zieht Tal mit ihren Eltern von Sankt Petersburg nach Köln-Chorweiler. Hier geht sie zur Schule, verbringt ihre Freizeit in jüdischen Gemeinden, spricht Hebräisch und beschließt nach dem Abitur, ihr Leben in Deutschland und ihre Familie hinter sich zu lassen und allein nach Israel zu ziehen.

Sie besucht das religiöse Institut für Frauen in Jerusalem, um sich intensiv mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen. Hier wird ihr Interesse für die Siedlerbewegung geweckt.

Ihre Sympathie dafür wird während des zweijährigen obligatorischen Militärdienstes noch verstärkt. In der Abteilung für internationale Presse der israelischen Armee wertet sie Medienberichte aus und erfährt, wie ihr Land, ihr Volk und besonders die Aktivität der Siedler rezipiert werden. Sie fühlt sich missverstanden, sieht in der Berichterstattung eine „erschreckende Verleumdung und Verzerrung der wirklich Stimmungs- und Politiklage“. Sie beschließt, in ihrem Blog „Ich, die Siedlerin“ subjektiv, „aber so authentisch wie möglich“ über das Leben als Siedlerin zu berichten.

Religiöse Überzeugung

Dass das Land, auf dem sie und ihre Nachbarn ihre Häuser, Kindergärten und Gemeindezentren bauen, gemäß völkerrechtlicher Auffassung den Palästinensern gehört, streitet sie ab. „Wir haben das Land gekauft“, sagt Tal mit einem Schulterzucken. Für sie besteht zudem ein biblischer Anspruch auf das Land zwischen Mittelmeer und Jordan, das sie Samaria und Judäa nennen. Ihrem Glauben nach haben sich unter anderem hier die israelischen Stammesväter niedergelassen. Tal lehnt den ihrer Meinung nach negativen Begriff „Siedler“ ab. Sie bevorzugt den hebräischen Begriff „Mitnachalim“, der sich aus dem Wort „Nachala“ (deutsch: Erbe) ableitet und den Anspruch der Juden auf diesen Landstrich manifestiert.

Der Weltsicherheitsrat hat 2016 in einer Resolution beschlossen, dass der Siedlungsbau gegen internationales Recht verstößt und die Zwei-Staaten-Vision gefährde, weil er den Grenzverlauf von 1967, der als Ausgangspunkt für Friedensverhandlungen gilt, zunehmend verwische. Tal macht sich nicht viel daraus, dass ihr Wohncontainer am Rande der 3500-Einwohner-Stadt Allon Schewut gegen das Völkerrecht verstößt. „Ich bin keine Anwältin“, ist ihre schlichte Antwort. Und: Sie sei sich sicher, dass das Völkerrecht wandelbar sei und der illegale Status ihrer Siedlung schon irgendwann in einen legalen gewandelt werden könne. Überhaupt sei das aber ein innenpolitisches, kein völkerrechtliches Thema, sagt Tal. Mit anderen Worten: Mischt euch nicht ein!

Unterstützung erhalten die Sielder von der israelischen Regierung. Sie fördert mit Sicherheitskräften, Infrastruktur und günstigen Mieten das Ansiedeln in den von der israelischen Armee verwalteten Gebieten des Westjordanlands. Der Gedanke: möglichst viel Land zu besiedeln, um aus einer Position der Stärke in zukünftige Friedensverhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu gehen.

Instrumentalisiert fühlt Tal sich dabei nicht. Ihr Leben in der Region Gush Etzion – rund 15 Kilometer südlich von Jerusalem – ist vielmehr ein religiöses und politisches Statement. Die Region sei für sie „geladen mit jüdischer Geschichte und lebendem Zionismus“.

Doch Tal ist nicht nur Siedlerin, sie ist Journalistin, schreibt für verschiedene jüdische Medien, führt Besuchergruppen durch die Knesset, arbeitet als Freelancerin, Übersetzerin, Kindergärtnerin und studiert Nahoststudien. Sie will „leben, erleben, lernen und berichten“, schreibt sie auf ihrem Blog. Je mehr die engagierte junge Frau von sich erzählt, desto schwerer ist sie zu fassen. Gegen Kategorien und Labels wehrt sie sich ohnehin.

Zelten im Wald

Obwohl sie die Bezeichnung „politische Aktivistin“ für sich ablehnt, so passt er doch zu ihrem Lebensstil, den sie in Israel für sich entdeckt hat. 2014 zog Tal in einen Wald in der Region Gusch Etzion im Westjordanland. Hier wurden kurz vorher drei israelische Jugendliche von der Hamas entführt und getötet. Der Wald hatte für sie besondere Symbolkraft. Sie wollte ihn gemeinsam mit einigen anderen Aktivisten in einen lebendigen Gedenkort für die getöteten Jugendlichen umformen. Sie schlug dort ihr Zelt auf und verließ den Wald erst wieder, als es im Winter zu kalt wurde. Von dort aus zog Tal in den 23 Quadratmeter großen Wohncontainer im Rande der Siedlung Allon Schewut, in dem sie bis heute lebt.

Doch obwohl Tal das Land von Palästinensern besetzt und entgegen internationalen Resolutionen weitere Siedlungen befürwortet, so setzt sie sich dennoch für die Rechte von Palästinensern und für eine besseres Verhältnis zwischen beiden Parteien ein.

Was zunächst wie ein großer Widerspruch klingt, lässt sich für Tal leicht vereinbaren. „Die Palästinenser haben nach 1967 verstanden, dass wir nicht gehen, und wir haben verstanden, dass auch sie bleiben werden. Es ist Zeit, dass ein Verständnis füreinander aufgebaut wird“, sagt Tal. Deswegen engagiert sie sich in Initiativen, die die Verständigung zwischen beiden Gruppen fördern. „Im persönlichen Austausch können wir auf einer Augenhöhe agieren, was im Alltag nicht möglich ist“, muss Tal eingestehen.

Der Versuch ist sicherlich gut gemeint. Aber obwohl Tal immer wieder das harmonische Zusammenleben mit den Palästinensern lobt, so berichtet sie doch in ihrem Blog von jedem Angriff von Palästinensern in den besiedelten Gebieten; und die geschehen regelmäßig. Es ist eine Taktik, sich gegen die Besiedlung ihrer Gebiete zu wehren, selbst wenn die Grundstücke rechtmäßig an Israelis verkauft wurden.

Das idyllische Zusammenleben, so wie Tal und ihre Nachbarn es sich erhoffen, existiert in Wirklichkeit nicht. Es gibt Mauern, Zäune, Schranken und Personenkontrollen. Palästinenser, die zum Arbeiten in die Siedlungen kommen, werden durchsucht und befragt.

Der persönliche Austausch, den Tal als Vorstufe des Friedens sieht, ist durchaus umstritten. Aus Sicht von Xavier Abu Eid, der in der palästinensischen Verhandlungsbehörde arbeitet, die für Gespräche mit Israel zuständig ist, gibt es keine Koexistenz. „Die 40.000 Palästinenser, die in den Siedlungen arbeiten, sind für die Israelis billige Arbeitskräfte. Sie bearbeiten das Land, das einst ihnen oder ihren Vorfahren gehörte.“

Die PA ist gegen den Austausch mit den Siedlern, die sie als „Besetzer“ ansehen. Auf den Verkauf von Land an Juden steht die Todesstrafe. Familien von sogenannten Märtyrern, die Israelis umbringen oder verletzen, werden von der PA finanziell belohnt.

Gegen die Zwei-Staaten-Lösung

Chaya Tal ist sich all dessen bewusst. Selbstmordanschläge in Supermärkten, Messerattacken auf Sicherheitsposten und nicht zuletzt die ständige Debatte über ihren Wohnort in Politik und Medien führen ihr die Auswirkungen ihrer Entscheidung täglich vor Augen.

Trotzdem versteht sie sich nicht als Friedenshindernis. Die Zwei-Staaten-Lösung lehnt sie ohnehin kategorisch ab, denn sie wünscht sich einen großen Staat Israel, der die palästinensischen Gebiete umfasst und in dem Juden und Palästinenser friedlich zusammenwohnen.

Und: Sie will, dass andere Israelis ihrem Beispiel folgen. „Mit den Siedlern kommt auch die Infrastruktur. So könnten dann auch die Palästinenser von guten Straßen und sauberem Wasser profitieren.“

Doch wie es in Zukunft weitergehen wird, weiß auch Tal nicht. „Es gibt nichts Dauerhafteres als das Temporäre“, sagt sie.