Mutation des Coronavirus in Großbritannien : Boris Johnson sagt Weihnachten ab
London Eine neue Variante des Coronavirus breitet sich seit September rasant aus und erzwingt jetzt den neuerlichen Lockdown in Großbritannien.
Lange hatte er sich gewehrt, dann musste er die Kehrtwende machen: Boris Johnson hat Weihnachten abgesagt. Der britische Premierminister verkündete in einer eilig angesetzten Pressekonferenz am Samstag, dass die für die Weihnachtstage in Aussicht gestellten Lockerungen der Corona-Beschränkungen wieder zurückgenommen und gebietsweise verschärft werden müssen. Eine neue Mutation des Coronavirus mit deutlich größerer Infektiosität sei aufgetreten. Große Teile Englands gingen am Sonntag in einen harten Lockdown. Schottland, Wales und Nordirland haben ähnlich scharfe Bestimmungen.
Alarmiert wurde Johnson durch das mutierte Virus mit dem Namen VUI2020/12/01. Erstmals war es im Königreich im September aufgetaucht. Mitte November gingen rund ein Viertel aller Neuansteckungen in London und im Südosten des Landes auf das Konto des Mutanten. Dann breitete es sich immer schneller aus, und in der letzten Woche war der neue Erregerstamm für mehr als 60 Prozent der Neuinfektionen in der Hautstadt verantwortlich. Zeit die Notbremse zu ziehen, bevor, wie Johnson warnte, „Infektionen sprunghaft ansteigen, Krankenhäuser überwältigt werden und viele Tausende mehr ihr Leben verlieren“.
VUI2020/12/01 sei zwar bis zu 70 Prozent ansteckender als die bekannte Form, so Johnson, aber es gebe zum Glück keine Hinweise darauf, „dass die neue Variante mehr oder schwerere Krankheitsverläufe auslöst“. Eine erhöhte Sterblichkeit durch VUI2020/12/01, bestätigte am Sonntag der Gesundheitsminister Matt Hancock, habe man nicht feststellen können. Auch gebe es keine Anzeichen dafür, dass die bisher entwickelten Impfstoffe wirkungslos gegen den neuen Virusstamm wären.
Kurz nach der Pressekonferenz am Samstagabend waren viele Londoner zu den Bahnhöfen gestürmt, um die Stadt noch vor Mitternacht verlassen zu können. Das sei „ein völlig verantwortungsloses Verhalten“, schimpfte Gesundheitsminister Matt Hancock, aber die Menschen wollten den scharfen Auflagen entfliehen. Ab Sonntag befinden sich London und weite Teile von Südengland im sogenannten „Tier 4“, der vierten und höchsten Corona-Warnstufe.
Das bedeutet, dass die Bürger gehalten sind, zu Hause zu bleiben, dass alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte schließen, dass Friseure nicht arbeiten dürfen und Kinos ebenso schließen müssen wie Fitnessstudios oder Schönheitssalons. Bewohner dürfen die Tier-4-Zonen nicht verlassen. Treffen darf man sich höchstens mit einem anderen Haushalt, und das auch nur im Freien. Damit sind Familienbesuche zu Weihnachten unmöglich gemacht worden.
Dabei hatte Premierminister Johnson noch am letzten Mittwoch getönt, dass es „inhuman“ wäre, Weihnachten abzusagen. Er kanzelte im Unterhaus den Oppositionsführer Keir Starmer ab, der ihm nahegelegt hatte, schärfere Beschränkungen einzuführen. Nur drei Tage später dann musste Johnson einknicken.
Das folgt einem Muster seines Corona-Managements, das man seit dem Frühjahr verfolgen kann. Johnson ist von Natur aus ein Optimist und seine Gesinnung ist prinzipiell libertär: Er hasst es, den Bürgern vorschreiben zu müssen, was sie zu tun und zu lassen haben. Das hat aber in der Corona-Krise immer wieder dazu geführt, dass der Premierminister zu viel versprach und zu wenig halten konnte. Kehrtwenden und Umfaller häufen sich.
Bei den Briten verstärkt dies das Gefühl, dass es mit der Kompetenz der Regierung nicht zum Besten gestellt ist. Der einzige Lichtblick in der Misere ist, dass bisher schon 350.000 Briten mit dem Biontech-Pfizer-Vakzin geimpft werden konnten.