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Zwei Kandidaten, zwei Strategien: Biden braucht die „blaue Mauer“

Zwei Kandidaten, zwei Strategien : Biden braucht die „blaue Mauer“

Endspurt im US-Wahlkampf: Alle Wege ins Weiße Haus führen für Donald Trump durch Michigan, Pennsylvania und Wisconsin. Sein Herausforderer Joe Biden genießt dort einige Vorteile.

Knapp eine Woche vor den Wahlen verraten die Reisepläne der Kandidaten deren Strategie auf der Zielgeraden des Wahlkampfs. US-Präsident Donald Trump hat bereits zwei größere Kundgebungen im Heimatstaat seines Herausforderers  Joe Biden eingeplant, wo Biden laut Umfragen mit 5,8 Prozent führt, und jeweils eine weitere in Michigan (Biden +7,4 Prozent) und Wisconsin (Biden +5,7 Prozent). Das werden gewiss nicht seine letzten Auftritte in den alten Industriestaaten sein, die an die „Great Lakes“ (Große Seen) angrenzen.

Aus Sicht des Präsidenten ist die Rechnung einfach. Wenn er alle anderen Bundesstaaten und Wahlbezirke hält, die er 2016 gewann, plus einen der drei genannten Staaten – die er damals mit zusammen gerade einmal 77.000 Stimmen von Hillary Clinton abrang – hat er eine zweite Amtszeit gesichert. Joe Biden braucht umgekehrt nur die als „blaue Mauer“ bekannte traditionelle Mehrheit in den „Great-Lakes“-Staaten zu errichten und könnte damit eine zweite Amtszeit Trumps verhindern. Dafür darf er den Fehler von Clinton nicht wiederholen und sich nicht auf dem Vorsprung ausruhen, den Umfragen ihm versprechen.

„Es kommt am Ende vielleicht auf Pennsylvania an”, sagte Biden auf einer von zwei Kundgebungen in seinem Heimatstaat. In den Vororten von Philadelphia siegte Clinton mit nur weniger als einem Prozent. Hier will der ehemalige Vizepräsident die Stimmen gewinnen, die er in ländlicheren Gebieten nicht so leicht holen kann. Bei der zweiten Kundgebung unweit seines Geburtsorts Scranton trat Biden zusammen mit dem Rockstar Jon Bon Jovi bei einer Kundgebung vor Wählern in ihren Autos auf.

Auch Trump hatte am Wochenende einen Stopp in seiner Wahlheimat Palm Beach im US-Bundesstaat Florida gemacht, wo er – wie bereits 50 Millionen Bürger in den USA – seine Stimme abgab. „Ich habe für einen Kerl namens Trump gestimmt“, sagte der Präsident anschließend. Dies sei „eine sicherere Stimme“ gewesen als „diese per Brief verschickten“, fügte er hinzu.

Trump reiste anschließend weiter zu Veranstaltungen in North Carolina und Ohio, zwei Bundesstaaten, die er 2016 gewann und die diesmal auf der Kippe stehen. Normalerweise reisen Kandidaten zu diesem Zeitpunkt im Wahlkampf nur noch in „Swing States“, in denen es auf die Mobilisierung der Wähler ankommt, deren Stimmen sie sich nicht sicher sind. Trump fühlt sich gezwungen, die einst sicher geglaubten Staaten wie Ohio (Trump +1,1), North Carolina (Biden +2,8), Iowa (Biden +1,2), Georgia (Biden +0,8) und Arizona (Biden +3,1) zu verteidigen.

Modellrechnungen zeigen, dass es sich der Präsident nicht leisten kann, Florida zu verlieren. Dort liegt er im Schnitt aller Umfragen laut „Fivethirtyeight“ um 3,2 Punkte vorn. Während 91 Prozent aller Wiederwahl-Szenarien für Donald Trump auf das Halten von Florida bauen, hat Biden sehr viel mehr Wege, die erforderlichen 270 Wahlmännern für sich zu gewinnen. Dabei hilft ihm eine prall gefüllte Wahlkampfkasse, die noch 118 Millionen Dollar mehr umfasst als die von Trump. Das erlaubt Biden, die wichtigen „Swing States“ mit TV-Werbung zu fluten.

Hinter verschlossenen Türen räumte Trump bei einem Treffen mit Geldgebern ein, dass der Partei der Wind voll ins Gesicht stehe. „Es dürfte sehr schwer werden, den Senat zu halten“, sagte er laut der „Washington Post“ in Nashville.

Die größte Hoffnung für den Präsidenten besteht darin, ein paar unentschlossene Wähler zu gewinnen oder bisherige Biden-Unterstützer in Pennsylvania oder Ohio zurückzugewinnen, die durch die Äußerung des Demokraten in der zweiten TV-Debatte zur Zukunft des Fracking verunsichert sind.

Angesichts der Dominanz der Pandemie, die sich mit immer neuen Rekorden von zuletzt mehr 85.000 Neuinfektionen pro Tag gerade zu einer bedrohlichen dritten Welle aufbaut, dürfte das für die meisten Wähler aber nach Ansicht von Analysten keinen wesentlichen Unterschied mehr machen.

Der ehemalige Wahlkampfmanager der Wiederwahl-Kampagne Barack Obamas, Jim Messina, rät Biden trotz der starken Ausgangslage zur Vorsicht. Egal wieviele Möglichkeiten es für den Demokraten gebe, ins Weiße Haus zu gelangen, „die erste Priorität für ihn muss darin liegen, die ‚blaue Mauer’ zu sichern.“