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DGB-Chef Reiner Hoffmann: „Vermögende müssen mehr leisten“

DGB-Chef Reiner Hoffmann : „Vermögende müssen mehr leisten“

Wie umgehen mit den durch die Corona-Bekämpfung entstehenden Kosten? DGB-Chef Reiner Hoffmann verlangt längere Fristen für die Schuldentilgung und ein gerechteres Steuersystem.

Die Corona-Pandemie hat enorme Auswirkungen auf die Wirtschaft. Unsere Korrespondentin Birgit Marschall sprach mit DGB-Chef Reiner Hoffmann über die Folgen des Lockdowns für Arbeitnehmer, den Mindestlohn und die neuen Schulden zur Finanzierung des Staatshaushalts.

Herr Hoffmann, wie werden Sie dieses Jahr Weihnachten verbringen?

Reiner Hoffmann: Wir sind ein deutlich kleinerer Familienkreis als sonst. Und wir werden über den Jahreswechsel nicht verreisen wie sonst. Wir werden die Zeit nutzen für viel Bewegung an der frischen Luft, zum Lesen und Kochen. Solidarität heißt in diesem Jahr Abstand halten und Rücksicht nehmen.

 Der Lockdown belastet die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Brauchen wir ein zusätzliches Konjunkturpaket?

Hoffmann: Wir brauchen gezielte Maßnahmen für die besonders betroffenen Branchen, aber keine großflächigen Hilfen für alle mit der Gießkanne. Wir haben Branchen, die sind zurzeit kaum von der Pandemie betroffen, etwa die Lebensmittelindustrie, die Bauwirtschaft oder die chemische Industrie. Dann gibt es die, die direkt betroffen sind, wie das Gastgewerbe, der Tourismus, der Einzelhandel, die Kulturschaffenden. Und dann gibt es auch noch Branchen wie die Automobilindustrie und deren Zulieferer, die in einem grundlegenden Strukturwandel stecken. Sie werden weit über die Corona-Krise hinaus in den nächsten zehn Jahren stabilisiert werden müssen, wenn wir diese Industrien in Europa halten wollen.

 An welche gezielten Hilfen für betroffene Branchen denken Sie?

Hoffmann:  Für die Zulieferindustrie und die Maschinenbauer brauchen wir sogenannte Transformationsfonds, an denen sich der Staat und die Unternehmen beteiligen und aus denen sie Investitionshilfen für den Umbau hin zu einer klimaschonenden Produktion erhalten können. Dazu haben IG Metall und IG BCE Vorschläge gemacht. Zudem muss die Bundesagentur für Arbeit im großen Stil Qualifizierung für Beschäftigte organisieren, die von der Corona-Krise und dem Umbau der Industrien betroffen sind. Kurzarbeitergeld und Weiterbildung müssen künftig Hand in Hand gehen.

 Ist es in Ordnung, dass die Gastronomie die großzügige Novemberhilfe bekommt, der Handel aber nicht?

Hoffmann: Nein, hier gibt es eine Schräglage. Hier muss der Wirtschaftsminister mit Blick auf den kleineren stationären Handel dringend noch mal nachjustieren: Es kann nicht sein, dass die einen 75 Prozent ihres Umsatzes ersetzt bekommen, die anderen aber nur die Fixkosten.

 Die Corona-Krise zieht sich in die Länge. Ist das goldene Jahrzehnt am Arbeitsmarkt 2021 vorbei?

Hoffmann: Das muss nicht unbedingt so sein. Wenn es uns gelingt, jetzt die Brücken in die Zukunft zu bauen, etwa durch eine Kombination aus Kurzarbeitergeld und Weiterbildung und durch deutlich mehr staatliche Investitionen, können sich die Auswirkungen am Arbeitsmarkt in Grenzen halten. Wenn der Staat – wie übrigens von Ökonomen der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite empfohlen – seine Investitionen in die Infrastruktur in den zehn Jahren bis 2030 um 450 Milliarden Euro aufstockt, dann brauchen wir uns um die Zukunft keine Sorgen zu machen.

 Würde ein Mindestlohn von zwölf Euro, wie Sie ihn fordern, die Lage am Arbeitsmarkt in der Krise für viele nicht verschlimmern?

Hoffmann: Nein, die Erfahrungen seit der Einführung des Mindestlohns 2015 lehren uns ja das Gegenteil. Der Mindestlohn hat keine Jobs gekostet, sondern im Gegenteil die Wirtschaftslage stabilisiert. Wir müssen gerade in dieser Krise alles daran setzen, die Binnenkonjunktur zu stärken, denn die Weltwirtschaft schwächelt. Übrigens empfiehlt uns auch die EU-Kommission einen armutsfesten Mindestlohn von 60 Prozent des Medianeinkommens. Das sind für Deutschland genau die zwölf Euro, die wir fordern.

 Wollen Sie die Mindestlohnkommission entmachten?

Hoffmann: Nein. Aber die Kommission sollte künftig bei der Festsetzung des Mindestlohns nicht nur die tarifliche Entwicklung und die Wirtschaftslage berücksichtigen, sondern auch das Medianeinkommen. Zudem muss der Mindestlohn existenzsichernd sein. Das wäre ein kluger politischer Schritt.

 Sie wollen mehr Unterstützung für krisengeplagte Branchen, mehr Kurzarbeitergeld, mehr staatliche Investitionen – wer soll das alles bezahlen?

Hoffmann: Zunächst einmal brauchen wir für die Schuldentilgung längere Fristen. Nordrhein-Westfalen hat es vorgemacht: Hier sollen die krisenbedingten Schulden über 50 Jahre getilgt werden, der Bund hingegen hat sich für die Hälfte der Jahre entschieden. Das ist zu kurz. Der Bund sollte jetzt nicht erzwingen, dass wir in kurzer Frist schon wieder die schwarze Null erreichen. Außerdem stelle ich das Schuldenkriterium des Maastricht-Vertrags von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung infrage. Die Schuldenquote ist antiquiert, weil wir heute nicht mehr die Inflationsraten und die hohen Zinsniveaus aus der Zeit des Maastricht-Vertrags vor 30 Jahren haben.

 Wie hoch sollte das Maastricht-Kriterium denn sein?

Hoffmann: Die Ökonomen vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung halten in den nächsten zehn Jahren ein Schuldenkriterium von 90 Prozent für tragbar. Die Schuldentilgung sollte auf 40 bis 50 Jahre gestreckt werden. Wenn sich nach 2030 wieder eine höhere Inflationsrate und ein höheres Zinsniveau abzeichnen, müssen wir die Lage neu bewerten.

 Sie wollen den Mehrbedarf an staatlichen Ausgaben also vor allem über Schulden finanzieren?

Hoffmann: Nicht nur. Mit der höheren Verschuldung sollten wir den Mehrbedarf an Investitionen finanzieren. Darüber hinaus haben wir aber soziale Unwuchten im Steuersystem. Denn es ist den Bürgern nicht zu vermitteln, dass sie Vollzeit arbeiten und eine Steuerquote von 30, 35 und mehr Prozent haben, während sich die Kapitalbesitzer mit einer Abgeltungssteuer von 25 Prozent davonschleichen können. Starke Schultern müssen für das Gemeinwohl mehr leisten, dieser Satz ist gerade auch mit Blick auf die Corona-Krise richtig. In der neuen Legislaturperiode muss die Abgeltungssteuer abgeschafft werden. Zudem gehören die Erbschaftssteuer und die Einkommenssteuer so reformiert, dass sehr Vermögende und Spitzenverdienende einen erheblich größeren Teil des Aufkommens beisteuern.