Aachen : Jordanien-Besuch: EKD-Ratsvorsitzender im Gespräch
Aachen Es war ein kurzer Besuch in Jordanien, aber er war eindrücklich. Am vergangenen Wochenende hat sich der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider zusammen mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Norbert Trelle, dort ein Bild von der Situation der syrischen Flüchtlinge gemacht.
Im Gespräch mit Christian Rein berichtet Schneider von den bedrückenden Begegnungen mit Menschen in schwerer Not und von der ermutigenden Arbeit der Helfer vor Ort. Vor allem aber appelliert er an die Solidarität der Deutschen.
Sie berichten von der unglaublichen Not, in der sich viele der syrischen Flüchtlinge befinden. Was ist die vordringlichste Aufgabe, um ihre Situation zu verbessern?
Schneider: Man muss die Menschen und ihre Unterkünfte dringend winterfest machen. Man muss ihnen Matratzen, Mäntel und Decken geben. Und sie müssen die Möglichkeit haben, ihre Wohnungen zu beheizen. Sie brauchen kleine Öfen, die man mit Kohle oder Gas betreiben kann. Wir haben einen Ofen gesehen, der mit Benzin betrieben wurde. Das ging gar nicht gut, weil die Kinder von den Abgasen krank geworden sind. Es geht wirklich um das Lebensnotwendige.
Betrifft das nur die syrischen Flüchtlinge in Jordanien?
Schneider: Nein, das ist fast noch dringlicher im Libanon, gilt aber auch für den Irak. In der Türkei ist die Situation der syrischen Flüchtlinge nicht so angespannt, weil die Lage im Land insgesamt besser ist.
Wird der Lage der syrischen Flüchtlinge in Deutschland genügend Aufmerksamkeit gewidmet?
Schneider: Nein, das Thema ist von anderen ein wenig aus der Öffentlichkeit gedrängt worden, zumal auch die Brisanz um das syrische Chemiewaffenprogramm abgenommen hat. Das war auch mit ein Grund für die Reise. Wir wollen die deutsche Bevölkerung darauf aufmerksam machen, dass dort eine Katastrophe stattfindet — vor den Toren Europas.
Muss Deutschland mehr leisten?
Schneider: Jordanien nimmt 540 000 syrische Flüchtlinge auf —als armes Land. Deutschland nimmt nur 5000 auf. Das ist einfach unverhältnismäßig und beschämend. Die EU ist übrigens noch schlechter als Deutschland. Wir wollen die Regierungen ermutigen: Macht mehr! Setzt Euch ein!
Was heißt das konkret?
Schneider: Es gibt zum Beispiel syrische Familien in Europa, und das Hilfssystem in den arabischen Ländern funktioniert ja hauptsächlich auf der Basis von Familie. Syrer in Europa sind also bereit, Familienmitglieder aufzunehmen, aber die Hürden dafür sind sehr hoch.
Wie hoch?
Schneider: Die Familien müssen zum Beispiel garantieren, dass sie für alle eventuell anfallenden Kosten aufkommen, damit ihre Angehörigen ein Visum bekommen. Das ist ein Problem etwa bei Krankheitskosten. Das kann kaum eine Familie leisten, wenn vielleicht eine Operation notwendig sein sollte. Für diese Krankheitskosten muss es eine Extra-Lösung geben.
Wie viele Flüchtlinge sollte Deutschland aufnehmen?
Schneider: Jede Zahl ist willkürlich, deshalb werde ich Ihnen keine nennen. Diese Frage müssen Bund, Länder und die einschlägigen Nichtregierungsorganisationen gemeinsam beantworten. Sie müssen sich zusammensetzen, sie können den Bedarf einschätzen, sie kennen die Hilfskapazitäten. Klar ist aber: Nur 5000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, ist für Deutschland ärmlich.
Sind der Hilfe in Deutschland nicht auch Grenzen gesetzt?
Schneider: Wir werden auch mit der besten Hilfe das Problem nicht lösen. Das geht nur, wenn in Syrien Frieden einkehrt. Deshalb lautet die zweite Botschaft an die Politik: Trocknet den Zufluss an Waffen aus, sorgt dafür, dass kriegerische Kräfte auch finanziell nicht weiter unterstützt werden. Und die Großmächte müssen ihre Schutzbefohlenen an den Verhandlungstisch bringen. Das muss höchste Priorität haben.
Sehen Sie für die Kirchen einen besonderen Auftrag, sich in die Friedensbemühungen einzubringen?
Schneider: Den sehe ich schon — aber im Rahmen unserer Möglichkeiten. Wir sind keine politischen Ersatzleute und wir haben keine politische Macht. Es soll aber im Umfeld der geplanten Friedenskonferenz in Genf am 23. November eine parallele Konferenz der Kirchen mit Vertretern aus dem Orient und aus Europa geben. Dazu hat der Ökumenische Rat der Kirchen eingeladen; auch ich werde daran teilnehmen. Die Konferenz soll auch Friedensimpulse setzen. Dazu sind wir verpflichtet.
Sie rufen auch zu Spenden auf, etwa für die Katastrophenhilfe der Diakonie oder Caritas International. Haben Sie die Sorge, dass die Spendenbereitschaft der Deutschen im Zuge der Limburg-Affäre leidet?
Schneider: Ja, die Sorge habe ich. Es steht mir nicht zu, über die Vorgänge in Limburg zu urteilen. Es gibt Fehlverhalten in der Kirche — auch in der evangelischen Kirche. Aber das steht in keinem Verhältnis zu dem, was wir an Hilfe leisten und ermöglichen. Das ist unsere Bitte an die Menschen: Rechnet das nicht gegeneinander auf!