Aachen/Berlin : Giegold: EU-Politik der FDP ist Knackpunkt für Koalition
Aachen/Berlin Der Weg nach Jamaika ist weit. Ob es zu einer Koalition aus Union, FDP und Grünen kommen kann, darüber sprach unser Redakteur Joachim Zinsen mit Sven Giegold. Gleichzeitig bewertet der grüne Europaabgeodnete die programmatische Rede von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu Europa.
Herr Giegold, reicht ihre Phantasie dazu aus, sich eine funktionierende Koalition der Grünen mit der Union und der FDP vorstellen zu können?
Giegold: Wir müssen zumindest versuchen, ein solches Bündnis auf die Beine zu stellen. Es ist sicherlich nicht unser Wunsch, gleichzeitig mit Horst Seehofer und Christian Lindner zu koalieren. Aber die SPD hat sich in die Büsche geschlagen. Also müssen Union, FDP und Grüne miteinander reden.
Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten?
Giegold: Wir Grüne stehen für eine humane Flüchtlings- und Integrationspolitik, die anderen bisher für Abschottung. Wir wollen eine konsequente Ökologisierung unserer Wirtschaft. Union und FDP stehen für Stillstand — vor allem, in der Agrar- und Verkehrspolitik. Zudem sehe ich große Unterschiede beim Thema soziale Gerechtigkeit.
Ihr Parteifreund Winfried Kretschmann sagt, die Grünen würden ohne Vorbedingungen in die Sondierungsgespräche gehen. Gibt es tatsächlich keine roten Linien, die nicht überschritten werden dürfen?
Giegold: Natürlich gibt es sie. Aber ich teile die Einschätzungen von „Kretsch“, nicht schon vor den Gesprächen Bedingungen zu stellen. Klar ist jedoch, dass jede der Parteien in ihren Kernbereichen Erfolge erzielen muss und man die Grenzen aller Partner achten muss.
Was sind die Kernbereiche der Grünen?
Giegold: Zum einen der ökologische Wandel und die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch diese Modernisierung. Zum anderen geht es uns um mehr Gerechtigkeit. Das gilt sowohl nach außen - wir wollen gegen Fluchtursachen und Rüstungsexporte vorgehen. Das gilt aber auch nach innen — wir müssen die Kinderarmut und die viel zu große Ungleichheit bei der Wohlstandsverteilung bekämpfen. Derzeit bekommen wir laufend Hinweise von Sozialverbänden, Gewerkschaften und Organisationen, die sich gegen Armut engagieren, was wir bei möglichen Verhandlungen alles durchsetzen sollen. Das ist Handlungsauftrag für uns. Wie in Schleswig-Holstein müsste ein Koalitionsvertrag eine grüne Handschrift tragen.
In der Europapolitik stehen sich Ihre Partei und die FDP diametral gegenüber. Christian Lindner & Co. lehnen etwa den Vorschlag von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron ab, für die Euro-Zone einen Wirtschafts- und Finanzminister mit eigenem Budget zu installieren. Wie ist dieser grundsätzliche Konflikt überhaupt auflösbar?
Giegold: Ehrlich gesagt, mir fehlt dazu auch die Fantasie. Die FDP will ja sogar den Europäischen Stabilitätsfonds abschaffen, der es Ländern wie Portugal, Irland oder Spanien erst ermöglicht hat, in der Eurozone zu bleiben. Zudem fordert sie, Griechenland müsse die Eurozone verlassen. Für uns Grüne ist das völlig inakzeptabel. Denn wir stünden schnell vor einer Neuauflage der Euro-Krise. In den vergangenen Tagen hat sich Lindner allerdings gemäßigter geäußert. Vielleicht kann man mit ihm ja doch konstruktiv über europäische Investitionen in die Zukunft reden, die solidarisch finanziert werden. Natürlich haben wir ein Interesse daran, dass diese Gelder auch vernünftig eingesetzt werden. Um das zu gewährleisten, muss es einen starken europäischen Finanzminister geben. Ich hoffe da auf Einsicht bei unseren Gesprächspartnern.
Macron hat am Dienstag weitere Reformvorschläge für die EU gemacht. Was halten Sie beispielsweise davon, die Unternehmensteuer in Europa anzugleichen und das Geld daraus in einen gemeinsamen Eurozonen-Haushalt einzustellen?
Giegold: Das ist eine hervorragende Idee. Der Steuerwettbewerb in Europa treibt nach wie vor absurde Blüten, die mit einer Marktwirtschaft nichts zu tun haben. Die ungleiche Besteuerung von Konzernen wie Amazon auf der einen und kleinen Geschäften wie einem Buchhandel auf der anderen Seite ist unerträglich. Die Steuersätze müssen harmonisiert und die dadurch entstehenden Mehreinnahmen für ein europäisches Investitionsprogramm genutzt werden.
Was hat Ihnen an Macrons Vorschlägen am meisten zugesagt?
Giegold: Macrons innere Haltung für Europa war tatsächlich von Herzen. Eine solch großartige Rede habe ich von einer deutschen Regierungsspitze seit Helmut Kohl nicht mehr gehört. Stark fand ich vor allem Macrons konkrete Vorschläge, wie Europa über gemeinsame Bildungsanstrengungen voran gebracht werden kann.
Was bemängeln Sie an der Rede?
Giegold: Bei seinen Vorschlägen zur Eurozone war er an entscheidenden Punkten unpräzise. Unklar ist geblieben, ob ein Finanzminister ein EU-Kommissar sein soll und welche Rolle das Europaparlament bekommt. Jetzt ist jedenfalls die Bundesregierung am Zuge!