Dortmund/Hamm : „Diese Bilder möchte man nicht sehen”: Aufnahmestopp für Flüchtlinge
Dortmund/Hamm Von der Ausnahmesituation vom Tag zuvor ist am Dienstagmorgen nichts mehr zu sehen. Eine Schranke versperrt die Einfahrt der Dortmunder Aufnahmestelle für Flüchtlinge. Wer auf das Gelände will, muss sich zuerst beim Wärter in einem Alu-Häuschen melden.
Dann springt eine Stahltür auf, es fiept. Mehrere Hundert Menschen passieren so jeden Tag den Einlass zur Dortmunder Erstaufnahmestelle, der ersten Anlaufstation für die Flüchtlinge in der Region.
Junge afrikanische Männer mit Habseligkeiten in weißen Plastikbeuteln kommen zu Fuß an, sie bitten um Einlass. Drei Südosteuropäer fahren mit dem Taxi vor und schieben Trollis hinter sich her. Sie alle hoffen in Deutschland auf eine bessere Zukunft. Doch ihr Hoffnungsanker, die Dortmunder Anlage für bis zu 350 Menschen, ist seit Wochen heillos überfüllt. „Wir können die Leute nicht einfach direkt aufnehmen, sonst würden wir überquillen”, sagt ihr Leiter Murat Sivri.
Der Erleichterung, endlich angekommen zu sein, folgt für viele die Ernüchterung. In der Regel müssten sie ihre Reise von hier aus fortsetzen, um langfristig eine freie Unterkunft zu finden. Teilweise gehen die Routen quer durch Deutschland.
Gleich 600 Neuankömmlinge haben die Erstaufnahmestelle am Montag auf die Probe gestellt. Die Stadt Dortmund zog die Notbremse und verhängte einen Aufnahmestopp, Flüchtlinge wurden aus Kapazitätsgründen abgewiesen. Mehrere Hundert Menschen standen kurzzeitig auf der Straße.
Die angespannte Situation in der Dortmunder Einrichtung hält seit einem Monat an, sie spitzt sich weiter zu: Zuletzt war bereits in der vergangenen Woche die Einrichtung für Neuankömmlinge dichtgemacht worden. Fast 900 Menschen hatten keine andere Wahl, als die Nacht provisorisch auf dem Gelände zu verbringen. „Das war eine kleine Katastrophe. Die Leute mussten auf der Wiese schlafen. Diese Bilder möchte man nicht sehen”, sagte Sivri.
Nach dem jüngsten Aufnahmestopp griff die Stadt Hamm buchstäblich in letzter Minute ein und bewahrte 300 Flüchtlingen vor einem ähnlichen Schicksal. Über Nacht wurde die Veranstaltungshalle zum Flüchtlingslager umfunktioniert, die Menschen von Dortmund nach Hamm gebracht. Um das Backsteingebäude herum flattert nun rot-weißes Absperrband. Auf dem Vorplatz erholen sich Flüchtlinge von den Strapazen. Kleine Mädchen spielen unter Parkbänken Verstecken. Familien sitzen barfüßig im Schatten der Laubbäume. Junge schwangere Afrikanerinnen tippeln in Flipflops über das Kopfsteinpflaster oder trocknen die Wäsche ihrer Kinder auf einer Mauer im Sonnenschein.
Für vier bis sechs Wochen sollen die Flüchtlinge voraussichtlich in dem Gebäude unterkommen, sagt der Betreiber der ehemaligen Maschinenhalle. Insgesamt 80 Helfer kümmern sich um ihr Wohlergehen. „Gemessen an den Umständen war die erste Nacht in Ordnung”, berichtet der persönliche Referent des Oberbürgermeisters, Markus Breuer.
Wo sonst Messen und Tagungen stattfinden, stehen jetzt 500 Feldbetten - jeweils mit schlichtem Metallrahmen, schmaler Matratze und dünner Decke ausgestattet. Mit dem neuen Interieur gleicht die Notunterkunft einer industriellen Lagerhalle. Die Idee, den Notleidenden spontan eine Zuflucht zu bieten, bezeichnete Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann als „riesen Kraftakt für alle Seiten”. In den nächsten Wochen sollen hier 200 weitere Flüchtlinge behelfsmäßig leben können. Gleichzeitig macht das Stadtoberhaupt auch die Grenzen der Machbarkeit deutlich: Mehr als 500 Flüchtlinge könne man der Stadt Hamm nicht zumuten.
Einsatzleiter des Arbeiter-Samariter-Bundes, Sebastian Maul, erläutert, wie dringend ärztliche Hilfe benötigt wird: „Manche sind traumatisiert oder haben Schusswunden aus Kriegen”.
Mehr als die Hälfte der Menschen, die derzeit einen Antrag auf Asyl stellen, kommen nach Angaben des Bundesinnenministeriums zur Zeit aus den westlichen Balkanstaaten. Auch in der Dortmunder Erstaufnahme waren am Montag viele Albaner gestrandet. Hohe Arbeitslosigkeit und falsche Versprechungen sind die wesentlichen Gründe, weshalb es viele Südosteuropäer nach Deutschland treibt. „Wir hatten einmal die Situation, dass eine Familie mit 48 Leuten aus Bosnien ankam. Da war ein ganzer Bus voll”, berichtet Erstaufnahme-Chef Sivri.