Studierende mit Angela Merkel : Zwischen Null-Semester und Funklöchern
Berlin Fehlender Präsenzunterricht, der Verlust des Nebenjobs, keine Praktika: Die Krise geht auch an den Studierenden in Deutschland nicht spurlos vorüber. Kanzlerin Angela Merkel traf sich am Dienstag im Rahmen ihres „Bürgerdialogs“ virtuell mit Studierenden aus ganz Deutschland.
Und hörte sich 90 Minuten lang die Sorgen des akademischen Nachwuchses an, die in der öffentlichen Diskussion derzeit nicht im Vordergrund stehen.
Dabei sind die Nöte der Studierenden groß: Viele haben ihre Nebenjobs verloren, finden keine Praktikumsplätze bei Firmen mehr, haben teilweise ihre Professoren, Dozenten und Kommilitonen seit Monaten nicht gesehen. „Sie haben auch nicht unendlich Zeit im Leben, und Sie haben Pläne“, sagt die Kanzlerin zu Beginn. Doch auf einmal sei durch die Krise alles anders - über diese Veränderungen wolle sie gerne sprechen. Philipp etwa, ein Student der Universität Duisburg-Essen, hat finanzielle Sorgen. Bislang finanziere er sein Studium mit zwei Nebenjobs – als studentische Hilfskraft an der Uni und als Kurierfahrer. Der Job als Kurierfahrer ist weg; den an der Uni konnte er nur behalten, weil er sich um Digitalisierung kümmert. Andere Hilfskräfte seien ihren Job bereits los. Außerdem verzögere sich sein Studium um ein Jahr, weil er seine Praktika nicht nachweisen könne – er bekomme einfach keinen Platz. So gesehen habe auch er ein „Null-Semester“.
Auch von einer Studentin aus Trier kommen Klagen: Besonders sauer ist man hier über die Bürokratie bei den Überbrückungshilfen. Viele Studierende seien aus nicht nachvollziehbaren Gründen durch das Raster gefallen, beklagt die Studentin der „grünsten Hochschule Deutschlands“. Sie verstehe nicht, wie man dem Konzern Lufthansa mit vielen Milliarden Euro helfe, die Hilfen bei den Studierenden aber an so viele formale Hürden geknüpft sei.
Hier greift Merkel, die zuvor vor allem zugehört hatte, ein. Ein Restrukturierungsplan für ein Unternehmen beinhalte sehr viele Formalien. Der Eindruck sei falsch. Es gehe auch nie um einen Konzern an sich, sondern bei der Rettung vor allem um die Arbeitsplätze. „Man darf in der Krise nicht gegeneinander ausspielen“, unterstreicht die CDU-Politikerin, verspricht aber gleichzeitig, sich die Probleme bei den Hilfen mal näher anzuschauen.
„Sie sind ja ein Super-Hotspot“
Für einen Studenten aus Passau hat die Kanzlerin einen etwas eigenen Willkommensgruß bereit: „Sie sind ja auch ein Super-Hotspot.“ „Das ist ein Label, das man nun nicht so gern hat“, so prompt die Replik. Der junge Mann fährt oft an die Uni derzeit – aus purer Not: „Zuhause habe ich ein Funkloch und kein Internet“, erklärt er. Und ihn drückt noch woanders der Schuh: Er mache sich große Sorgen über die Verschwörungstheorien, die im Zusammenhang mit der Pandemie derzeit im Land grassierten. Merkel pflichtet ihm bei: Das sei ein Angriff auf die ganze Lebensweise Deutschlands. „Seit der Aufklärung ist Europa den Weg gegangen, sich auf der Basis von Fakten sozusagen ein Weltbild zu verschaffen. Und wenn ein Weltbild plötzlich losgelöst oder antifaktisch ist, dann ist das natürlich mit unserer ganzen Art zu leben sehr schwer vereinbar“, betont die Physikerin.
Und fährt fort: „Das wird vielleicht auch eine Aufgabe für Psychologen sein.“ Forschung zur Frage sei nötig: „Wie verabschiedet man sich eigentlich aus der Welt der Fakten und gerät in eine Welt, die sozusagen eine andere Sprache spricht und die wir mit unserer faktenbasierten Sprache gar nicht erreichen können?“ Doch die Regierungschefin will nicht vorverurteilen: „Trotzdem sind wir ein tolerantes Land.“ Auch diese Menschen seien Bürgerinnen und Bürger. Doch sie wieder in die Welt des gegenseitigen Zuhörens zu führen, werde sehr schwer. Darüber mache sie sich ebenfalls Sorgen, sagt die Kanzlerin.