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„Eine Entwertung jedes Lebens“: Schavan und andere fordern „moralische Revolte“ zum Schutz alter Menschen

„Eine Entwertung jedes Lebens“ : Schavan und andere fordern „moralische Revolte“ zum Schutz alter Menschen

Prominente aus Wissenschaft und Politik, Kirche und Gesellschaft rufen in einem internationalen Appell dazu auf, das Leben alter Menschen in der Corona-Krise nicht abzuwerten. Sie wünschen sich eine „moralische Revolte“.

Unterzeichnet ist der Appell mit dem Titel „Unsere Zukunft – nicht ohne die alten Menschen“ unter anderem von seinem Initiator, dem Karlspreisträger Andrea Riccardi, Gründer der Gemeinschaft Sant’Egidio, vom Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas, den ehemaligen Regierungschefs Felipe González (Spanien) und Romano Prodi (Italien), dem polnischen Essayisten Adam Michnik und der früheren Bundesforschungsministerin Annette Schavan.

In einer Anzeige, die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurde, schreiben sie: „Wer das zerbrechliche und schwache Leben der Älteren abwertet, bereitet einer Entwertung jedes Lebens den Weg.“ Sie habe den Appell unterschrieben, weil er den Blick auf die Frage lenke, „wie es um den humanitären Konsens in Europa steht“, sagt Schavan unserer Zeitung.

Es werde derzeit viel über Geld gesprochen, „Europa hat aber nicht nur fiskalische Probleme, sondern wir müssen uns auch stärker um unser ethisches Fundament kümmern“. Der humanitäre Konsens sei spätestens 2015 ins Wanken geraten, „als viele Länder sich schäbig gegenüber den Flüchtlingen verhalten haben.“

Ende April sagte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ In der Coronavirus-Krise „sollten wir uns also nichts vormachen, denn solche Äußerungen offenbaren schlimme Oberflächlichkeit und schlechten Pragmatismus“, sagt Schavan.

„Die These, dass eine kürzere Lebenserwartung rechtlich einen geringeren Wert eines Lebens zur Folge hätte, ist aus juristischer Perspektive eine Barbarei“, heißt es in dem Appell. „In vielen Ländern“ tauche „ein gefährliches Modell auf, das sich für ein selektives Gesundheitswesen ausspricht, in dem das Leben von alten Menschen als zweitrangig betrachtet wird“.

Schavan verweist auf jüngste Erfahrungen in südeuropäischen Ländern, in denen die Gesundheitssysteme vollkommen überfordert und davon vor allem alte Menschen betroffen gewesen seien. Sie setze da­rauf, dass Wissenschaft und Kirchen sich mit dem Appell befassen, um einen europäischen Konsens für humanitäre Ethik zu erreichen.

(pep)