Zweiter Teil-Lockdown : Merkel und der „Wellenbrecher“
Berlin Die Bundeskanzlerin appelliert an Tag eins des zweiten Teil-Lockdowns vor der Presse noch einmal an die Bevölkerung. Jeder solle seine Kontakte reduzieren und Disziplin wahren.
Tag eins des neuen Teil-Lockdowns. Aus dem Verteidigungsministerium kommt die Meldung: „AKK begibt sich vorsorglich in Quarantäne“. Ein Kontakt aus dem „privaten Umfeld“ der Ministerin positiv getestet, die Ministerin selbst aber negativ. Aber vorsorglich sechs Tage Quarantäne für Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Auch Angela Merkel betreibt an diesem Tag Vorsorge – nach ihrer Art. Das Land fährt runter, die Kanzlerin fährt hoch. Merkel will die Menschen auf vier entbehrungsreiche Wochen einschwören. Auftritt in der Bundespressekonferenz. Das hier ist kein normales Jahr.
Schon dieser Sommer war anders – gespickt mit Reisewarnungen für weite Teile der Erde. Herbst und Winter werden eine ganz besondere Herausforderung. Damit Deutschland gut durch den Winter komme, brauche es die gemeinsame Anstrengung aller, appelliert Merkel erneut an die Disziplin der Bevölkerung. Doch zum Start in Wochen der Kontaktarmut will noch jemand von Deutschlands oberster Krisenmanagerin wissen, ob sie gesund ist. Also Frage: „Sind Sie erkältet?“ Merkel: „Ich? Nee! Ich war erkältet. Vor einer Woche war ich’s. Das stimmt.“ Aber jetzt, frisch getestet, alles wieder in Butter, vermittelt Merkel vor der Hauptstadtpresse ihr persönliches Bulletin. „Der Winter wird schwer – vier lange, schwere Monate. Aber er wird enden“, hatte Merkel vergangene Woche gesagt.
Und jetzt? Gastwirte, Restaurantbesitzer, Künstler, Musiker, Theaterschaffende, Kinobetreiber – die gesamte Veranstaltungsbranche ist wütend, weil Bund und Länder die Republik in Teilen für vier Wochen wieder herunterfahren. Merkel betont an diesem Montag erneut, dass die Entscheidung, den Freizeitsektor zu schließen, ein politisches Votum gewesen sei. Klar, man hätte natürlich auch sagen können, wenn schon Einschränkungen, dann für alle, aber das hätte die Sache nicht besser gemacht. „Schauen Sie, wir machen das doch nicht gerne“, wirbt sie nochmals um Verständnis für die jetzt beschlossenen Maßnahmen. Ob es besser wäre, den Menschen zu sagen, keiner müsse für vier Wochen mehr zur Arbeit, dafür hätten Restaurants, Bars und Kneipen geöffnet, wage sie zu bezweifeln. Von der Zahl der Kontakte wäre es mitunter auf dasselbe hinausgelaufen, aber dann könnte das Land die Kosten dieser Pandemie gewiss nicht mehr stemmen. Dass etwa die Geschäftsführer der Polit-Kneipe „Ständige Vertretung“ (StäV) in Berlin unter anderem ihr wie auch Vize-Kanzler Olaf Scholz wegen des Lockdowns für die Gastronomie Lokalverbot erteilt haben, damit wird sie leben können. Sie kann es nicht allen recht machen.
Entscheidende Wochen
Aber die Menschen im Land sollen doch noch einmal genau hinhören, worum es jetzt gehe. Entscheidende Wochen stünden an. Eine Zeit, auch wegweisend dafür, wie Weihnachten ausfalle. Derzeit gebe es eine bundesweite „Durchschnittsinzidenz“ von 127,8 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Damit die Kontakte von den ohnehin überbelasteten Gesundheitsämtern überhaupt noch nachverfolgt werden könnten, müsse dieser Wert auf 50 Infizierte pro 100.000 Einwohner in einer Woche gesenkt werden. Dazu müssten 75 Prozent der bisherigen Kontakte heruntergefahren werden. „Wir müssen in den nächsten Wochen drei von vier Kontakten aus normalen Zeiten vermeiden“, so die Regierungschefin. Das wäre dann der erhoffte „Wellenbrecher“ dieser zweiten Corona-Welle.
Merkel spricht, wie schon im März, erneut davon, dass das Land nun durch eine „sehr, sehr große Bewährungsprobe muss wie wir es in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gehabt haben“. Disziplin, Disziplin, Disziplin. „Das Virus bestraft Halbherzigkeit.“
Keine Wahlempfehlung
Corona hat die Welt im Griff. Deutschland ebenso wie Europa und die USA. Ach so, ob Merkel es begrüßen würde, wenn im Weißen Haus wieder der Rat der Wissenschaft gehört würde? Oder anders gefragt: Donald Trump oder doch lieber Joe Biden? Sie werde sich einen Tag vor der US-Wahl nicht zu Wahlaussichten äußern, erst recht keine Empfehlung abgeben, wiegelt Merkel ab.
Nur vielleicht so viel: Es sei ja bekannt, dass sie aufgrund ihrer Vorbildung dem wissenschaftlichen Rat doch einiges an Raum zubillige, sagt die promovierte Physikerin. Sie hält es mit der Ratio, mit den Fakten: „Wir alle sparen viel Geld, wenn wir vernünftig sind.“ Und hofft, dass alle verstanden haben.