Olaf Scholz für die SPD? : Leises Rütteln am Kanzleramtszaun
Berlin Finanzminister Olaf Scholz hat nur ein halbes Jahr nach seiner Niederlage im Rennen um den SPD-Vorsitz beste Chancen, Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf 2021 zu werden.
Es ist die Zeit des wirtschaftlichen und sozialen Wendepunkts, der Beginn der Coronavirus-Krise in Deutschland. Mitte März treten die Minister für Finanzen, Olaf Scholz (SPD), und für Wirtschaft, Peter Altmaier (CDU), gemeinsam vor die Presse. Beide tragen ernste, feierliche Mienen. Die Minister verkünden nichts weniger als einen staatlichen Schutzschirm für die gesamte deutsche Wirtschaft. Jedes von der Krise geplagte Unternehmen solle bei der Staatsbank KfW unbegrenzt staatliche Hilfskredite beantragen können. Am Ende dieser denkwürdigen Pressekonferenz stiehlt Scholz dem Ministerkollegen die Show: „Es ist, wenn man das so sagen darf, die Bazooka. Was wir noch an kleineren Waffen brauchen, gucken wir später“, sagte Scholz mit dem Hauch eines Grinsens im Gesicht.
Die „Bazooka“ genannte Panzerfaust war eine der schlagkräftigsten US-Waffen im Zweiten Weltkrieg. Seit einem vielzitierten Ausspruch des früheren EZB-Chefs Mario Draghi in der Finanzkrise ist sie zur beliebten Metapher für drastische Maßnahmen in Notlagen geworden. In der Corona-Krise hat Scholz sie als Erster benutzt und so geht sie nun auch mit ihm nach Hause.
Die Anforderungen, die die Folgen der Epidemie an den Finanzminister stellen, scheinen der politischen Karriere und den ehrgeizigen Ambitionen des Olaf Scholz zu helfen. Scholz hat früh komplett umgeschaltet: Er ist seit März nicht mehr der beharrliche Beschützer der schwarzen Null im Bundeshaushalt, sondern Chefökonom der Regierung und neben der Bundeskanzlerin der wichtigste Krisenmanager.
Überall nur Zustimmung
Geld in Hülle und Fülle ausgeben zu können, hat schon fast jedes Politikerimage aufpoliert, doch Scholz kann es mit dieser allumfassenden Krise ökonomisch besonders gut begründen – er stößt damit fast überall auf Zustimmung, nicht einmal der politische Gegner mag ihn deshalb angreifen. Der Ausbruch der Corona-Krise hat auf den 61-Jährigen gewirkt wie Blutdoping bei Leistungssportlern: Scholz hat hochgedreht, ist häufiger im Fernsehen zu sehen als Merkel oder Altmaier. „Scholz ist in der Krise das Gesicht der SPD“, sagt ein Parteifreund. In seiner Partei konnte Scholz mit dem Kurswechsel Konflikte befrieden und Sympathien auch bei Kritikern zurückgewinnen, die ihm im Herbst vergangenen Jahres die größte Niederlage seiner langen Politikerkarriere zugefügt hatten: Der Pragmatiker unterlag im Rennen um den SPD-Vorsitz überraschend gegen das „linke“ Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Dass er nur ein halbes Jahr später wie ein Phönix aus der Asche kommt und auf die SPD-Kanzlerkandidatur zusteuert, hätte damals keiner geglaubt. Aber nun läuft alles auf Scholz zu.
Selbst frühere Gegenspieler, deren Zahl über die Jahre eher gewachsen war, zeigen sich mittlerweile begeistert von ihm. In der Corona-Krise würden auch Fehler gemacht. Im Zuständigkeitsbereich des Finanzministers aber nicht, heißt es aus Parteikreisen. Scholz lege ein Arbeitspensum an den Tag, das für mehrere Personen reichen würde. Er liefere trotzdem auf höchstem Niveau ab. Da Scholz jetzt nicht mehr auf der Bundeskasse sitzt, sind auch frühere Differenzen mit Walter-Borjans, dem einstigen NRW-Finanzminister, um den Kurs der Finanzpolitik beigelegt: Beide marschieren nun Hand in Hand in Richtung Neuverschuldung und Ausgabensteigerung.
Zudem kann Scholz an anderer Stelle punkten, er wird nahbarer. Als er in der Corona-Krise sich selbst die Haare schnitt, ging das gründlich schief. Der sonst eher eitle Genosse rasierte sich versehentlich kahle Stellen, zeigte sich damit aber trotzdem vor Kameras.
Was viele nicht wissen: Scholz kann lustig und unterhaltsam sein, er hat einen Sinn für Selbstironie. Doch öffentlich bleibt er der hölzern sprechende „Scholzomat“. Es hatte schon fast etwas von einem Kult der SPD-Delegierten, den Hanseaten mit schlechten Ergebnissen bei Parteitagen auszustatten. Die Niederlage gegen Esken und Walter-Borjans war die ultimative Demütigung. Doch Scholz schmiss als Finanzminister nicht hin. Jetzt genießt er die höchsten Beliebtheitswerte. Dass die SPD einen Mitgliederentscheid zur K-Frage abhalten sollte, findet in der Partei derzeit wenig Zustimmung. Im Willy-Brandt-Haus warnt man vor einem weiteren Nabelschauprozess. Nein, Scholz darf darauf hoffen, als einziger Kandidat auserkoren zu werden. Das will er, das ließ er mehrfach in Interviews durchblicken. Er rüttelt – anders als einst Gerhard Schröder – leise am Kanzlerzaun. Aber er rüttelt.
Und Alternativen gibt es in der SPD derzeit kaum. Malu Dreyer winkte bereits beim Vorsitz ab. Manuela Schwesig hat zwar ihre Krebsbehandlung beendet, muss sich aber auf ihr Ministerpräsidentenamt in Mecklenburg-Vorpommern konzentrieren. Franziska Giffey will Bürgermeisterin in Berlin werden. Und Arbeitsminister Hubertus Heil hat intern bereits abgesagt.
Es könnte alles sehr schnell gehen mit seiner Kanzlerkandidatur. „Es gibt gute Gründe, unseren Kanzlerkandidaten vor der CDU zu küren, möglichst bereits im Oktober oder November“, sagte Fraktionsvize Achim Post.