Einheitliche Regelung : Der Bund will die Notbremse erzwingen
Berlin Nach einem wochenlangen Hin und Her soll nun eine einheitliche Lösung her. Im Kern soll ein Stopp bei einer Inzidenz von 100 automatisch zur Anwendung kommen. Doch es gibt Bedenken.
Angesichts stark steigender Infektionszahlen und ausgelasteter Intensivstationen will die Bundesregierung automatische und bundesweit einheitliche Regelungen für harte Coronavirus-Maßnahmen durchsetzen. Dazu will der Bund gemeinsam mit den Ländern eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschließen. Im Kern sieht es vor, die Notbremse ab 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner und Woche in Landkreisen und kreisfreien Städten automatisch greifen zu lassen, mit der umfangreiche Schließungen und Beschränkungen einhergehen.
Bereits am Dienstag will das Bundeskabinett einen entsprechenden Vorschlag auf den Weg bringen. Kurz danach sollen sich Bundestag und Bundesrat damit befassen. Vorgesehen sind etwa nächtliche Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Details wurden zunächst nicht bekannt, nach Angaben aus Länderkreisen wird ein erster Entwurf an diesem Wochenende erwartet. Die Regierungsfraktionen und die Länder hätten diesem Weg zugestimmt, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Freitag. Alle Fraktionen im Bundestag sollten einbezogen werden, auch um mögliche Fristverkürzungen für eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes zu erreichen.
Geklärt werden muss nun, was alles unter die Notbremse fallen soll, die bisher auch die Rücknahme von Öffnungsschritten vorsieht. „Abstandsgebote, Maskenpflicht, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sollten bundeseinheitlich geregelt werden“, hatte etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gesagt. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, dass Schulen ab einer Inzidenz von 200 in den Wechselunterricht gehen müssten. Eine bundesweite Regelung sei „richtig und vernünftig“. Eine bundeseinheitliche Regelung etwa von Ausgangsbeschränkungen sei auch nötig, damit die Regelungen vor Gericht besser Bestand hätten, betonte der Finanzminister.
Einig scheint man sich mit den Ländern, dass diese unterhalb einer Inzidenz von 100 selbst über Modellprojekte entscheiden können. Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Winfried Kretschmann (Grüne) und Malu Dreyer (SPD), begrüßten die Absage der bislang für Montag geplanten Ministerpräsidentenkonferenz. Kritik kam hingegen von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke).
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach unterstützte den Vorstoß, kritisierte aber eine noch fehlende Testpflicht an Schulen. „Die Einigung zwischen Bund und Ländern beendet endlich das unkoordinierte Vorgehen in Deutschland“, sagte er. „Wichtig ist, dass im parlamentarischen Verfahren an den Ausgangsbeschränkungen, den geschlossenen Geschäften und einer Testpflicht in Unternehmen festgehalten wird“, sagte Lauterbach unserer Redaktion.
„Was bislang fehlt, ist eine Testpflicht an Schulen. Die ist zwingend notwendig, um Präsenzunterricht verantworten zu können. Kinder können Opfer langjähriger Corona-Schäden werden, wie aktuelle Studien zeigen. Außerdem müssen die Modellprojekte in Städten und Ländern gestrichen werden ab einem Inzidenzwert von 100“, sagte Lauterbach.
Überlastung des Systems droht
Sowohl Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als auch der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, warnten vor einer Überlastung des Gesundheitssystems, weil die Zahl der Intensivpatienten in den kommende Wochen steigen werde. „Wenn wir nicht in einen Lockdown gehen, wenn wir die Mobilität nicht stärker einschränken, dann werden die Zahlen steigen, dann werden viele Menschen ihr Leben verlieren“, warnte Wieler. Das RKI meldete zugleich einen neuen Impfrekord: 719.927 Impfungen Donnerstag.
Die Kanzlerin hatte schon vor knapp zwei Wochen einen härteren Kurs von den Ländern gefordert und notfalls mit einer bundeseinheitlichen Regelung gedroht. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wies die Vorwürfe der Kanzlerin jedoch zurück. „Wir befinden uns bereits seit November in einem Lockdown. Jedes einzelne Bundesland hat Regelungen für eine Notbremse festgeschrieben und auch umgesetzt“, sagte Haseloff unserer Redaktion.
„Jetzt sollte der Bund seine bereits bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen. Dazu zählen unter anderem Einschränkungen der internationalen Mobilität und der konsequenten Kontrolle von Einreisenden ebenso wie eine verbindliche Teststrategie in den Betrieben unter Anwendung der Arbeitsschutzgesetzgebung“, sagte der CDU-Politiker. „Zudem muss der Bund die Impfstoffversorgung sicherstellen. Auch hier ist noch Luft nach oben“, kritisierte Haseloff den Bund.