Waffenlieferungen an die Ukraine : Das Dilemma des Olaf Scholz
Berlin Olaf Scholz bleibt sich trotz Kritik aus den eigenen Reihen treu und wägt in einem schwierigen Dilemma die Fragen von Krieg und Frieden ab. Steht er bald allein vor den internationalen Partnern und ohne eigene Mehrheiten zu Hause da?
Olaf Scholz spricht meist ruhig und leise. Fast zu leise. Regieren nach Bauchgefühl ist nicht seine Art. Der Kanzler will verstanden werden als einer, der Entscheidungen gründlich abwägt. Als einer, der sich beraten lässt, diskutiert, Meinungen einholt. Der am Ende aber für sich allein zu einem Entschluss kommt. Weil nur er die Verantwortung tragen kann, die mit dem Amt des Bundeskanzlers einhergeht.
Das gilt insbesondere für Fragen von Krieg und Frieden. Fragen, die den Kern seines Amtseids berühren, den der SPD-Politiker am 8. Dezember 2021 geschworen hat. Seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen. Schaden von ihm wenden. Das mag übertrieben pathetisch klingen, doch so ernst ist die Lage angesichts des brutalen russischen Angriffskriegs in der Ukraine wohl.
Was ist, wenn Russlands Präsident Wladimir Putin den Angriff weiterer Staaten befiehlt? Möglicherweise sogar den Angriff auf Nato-Partner? Möglicherweise sogar eine weitere Alarmstufe der strategischen Atomwaffen ausrufen lässt? Was könnte solche Eskalationen provozieren? Die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine? Und ab wann würde dann das eintreten, was Scholz unbedingt vermeiden will: Dass Deutschland zu einer Kriegspartei wird?
Mit einer ganzen Palette möglicher Antworten auf diese Fragen ist Scholz nun allein. Umgeben von einem tosenden Sturm der Entrüstung, dass er nicht genug Führung zeige, dass er zaudere, zögere. Und die Lieferung schwerer Waffen blockiere. Zum Ärger der Ampel-Regierung kommt diese Entrüstung zuallererst von Abgeordneten der Grünen und der FDP, also aus den eigenen Koalitionsreihen. Namentlich vom Vorsitzenden des Europa-Ausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), und der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), in die Ukraine gereist waren und dabei auch schwerverletzte ukrainische Soldaten besucht hatten. „Das Problem der fehlenden Unterstützung der Ukraine sitzt glasklar im Kanzleramt“, hatte Strack-Zimmermann unter dem Eindruck der schlimmen Bilder gesagt. Und Hofreiter schäumte: „Ich kann nur spekulieren, warum der Kanzler so auf der Bremse steht. Ich kenne keinen vernünftigen Grund. Aber mit seinem Handeln schadet der Kanzler nicht nur der Lage in der Ukraine, er schadet auch dem Ansehen Deutschlands in Europa und der ganzen Welt.“ Solche Angriffe treten üblicherweise erst in der Endphase einer gescheiterten Koalition auf, nicht aber schon nach den ersten 100 Tagen.
Hilfreich ist das für Scholz nicht, der in Umfragen bereits an Rückhalt verloren hat. „Manchen von diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt – deshalb führe ich“, sagte er im rbb-inforadio bissig. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa sieht nur noch 40 Prozent Zustimmung zu seiner Politik, im März waren es noch 60. Unterdessen kommen Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) gut an, die schwere Waffen für die Ukraine fordern. Der Kanzler steht vor einer Grundsatzentscheidung, die ihm niemand abnehmen kann.
Gut möglich, dass die Bundesregierung aber schon längst dabei ist, konkrete Lieferungen mit ihren Partnern in Europa und den USA abzustimmen. Die USA hatten gerade angekündigt, Waffen im Wert von weiteren 800 Millionen Dollar an die Ukraine liefern zu wollen. Vorgesehen sind unter anderem elf Hubschrauber, 200 gepanzerte Mannschaftstransporter, 18 Feldhaubitzen mit 40.000 Artilleriegeschossen und vieles mehr. Deutsche Listen, die der Geheimhaltung unterliegen, bezeichnete selbst FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann nach Akteneinsicht als beträchtlichen Beitrag. „Nur ist die Kommunikation der Regierung darüber so überschaubar, dass sich der Eindruck festsetzen konnte, Deutschland werde seiner Verantwortung nicht gerecht“, kritisierte sie.
Also alles ein Problem der Außendarstellung? Passen würde es zu Scholz, der in seiner langen politischen Karriere einerseits nie dafür bekannt war, Eigen-PR großzuschreiben und der andererseits in diesem konkreten Fall von Waffenlieferungen auch dem Gegner Putin nicht zu viel Einblicke gewähren will.
Und so ist es denkbar, dass die Bundesregierung erst dann mögliche Waffenlieferungen kommunizieren wird, wenn diese in der Ukraine eingetroffen sind. Scholz muss jedoch aufpassen, außenpolitisch nicht bald zunehmend isoliert dazustehen, wenn er seine Entscheidung nicht hinreichend erläutert. Zumal Verständnis für sein Abwägen nach einer befürchteten Oster-Offensive der russischen Armee im Osten der Ukraine auch bei seinen Anhängern schnell in Ablehnung umschlagen könnte.
Zugleich scheint sich der Wind gegen seine Kritiker in den eigenen Reihen zu drehen: Am Donnerstag attackierte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich die Querschläger aus den Ampel-Reihen scharf. „Einfache Antworten, auch bei der Lieferung von schwerem Kriegsgerät an die Ukraine, gibt es nicht“, schrieb er in einer Mitteilung. „Wer das behauptet, handelt verantwortungslos.“ Und auch die Grünen-Spitze distanzierte sich von Hofreiters Kritik. Das sei „nicht die Linie von Bündnis90/Die Grünen“, sagte Parteichef Omid Nouripour am Donnerstag in Berlin.