„Ächtung“ des Rechtsextremismus : Aufgabe für die ganze Gesellschaft
Karlsruhe/Berlin Die Ministerpräsidenten von Hessen und Niedersachsen fordern als Reaktion auf die Tat in Halle eine „Ächtung“ des Rechtsextremismus. Die AfD weist Vorwürfe zurück.
Nach dem Terroranschlag von Halle hat der 27-jährige Stephan B. die Bluttat gestanden und ein rechtsextremistisches, antisemitisches Motiv bestätigt. Der Mann habe mehrere Stunden beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am Donnerstagabend ausgesagt, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft am Freitag in Karlsruhe. Der Täter sitzt in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl legt ihm zweifachen Mord und siebenfachen Mordversuch zur Last. Nach Einschätzung der Ermittler wollte er ein Massaker anrichten und Nachahmer zu ähnlichen Taten anstiften.
B. war am Mittwoch festgenommen worden, nachdem vor einer Synagoge in Halle eine 40 Jahre alte Frau und in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss ein 20-jähriger Mann erschossen worden waren. Zuvor hatte der Täter vergeblich versucht, die Synagoge mit Waffengewalt zu stürmen. Zu dem Zeitpunkt hielten sich 51 Menschen in dem Gotteshaus auf und feierten das wichtigste jüdische Fest, Jom Kippur.
Diskurs über die AfD
Die Debatte über Konsequenzen aus der Bluttat läuft inzwischen auf Hochtouren – auch über Deutschland hinaus. Die EU-Kommission rief alle Mitgliedstaaten auf, Synagogen und andere jüdischen Einrichtungen ausreichend zu schützen. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer forderte schärfere Sicherheitsgesetze für Deutschland. Die Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste bräuchten die richtigen Instrumente, um solche Straftaten zu bekämpfen. Dazu gehörten längere DNA-Speicherfristen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will die bereits geplante Reform für eine bessere Bekämpfung des Rechtsextremismus beschleunigen. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) kündigte an, dass sie die Mittel für die Arbeit gegen Antisemitismus aufstocken möchte.
Heftig diskutiert wird auch über Vorwürfe aus der CSU gegen AfD-Politiker, diese würden sich als „geistige Brandstifter“ für rechtsextremistische Gewalttaten betätigen. Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen wies die Anschuldigungen zurück und hielt Seehofer sowie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) vor, die Tat parteipolitisch zu instrumentalisieren. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, warf der AfD dagegen vor, Stimmung gegen Juden zu machen.
Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hatte B. bei seinem Angriff auf die Synagoge vier Schusswaffen und mehrere Sprengsätze bei sich. Ermittler fanden in Wohnräumen des Tatverdächtigen einen 3D-Drucker, was den Verdacht untermauert, er habe seine Waffen selbst hergestellt. Ein Bekennervideo in Sozialen Netzwerken zeigt den Ablauf der Tat aus der Perspektive des Attentäters – von der vergeblichen Erstürmung der Synagoge über die tödlichen Schüsse bis zur Flucht. Zudem legte der Täter in einem elf Seiten langen „Manifest“ seine Gedanken dar. Der Text liest sich stellenweise wie die Anleitung zu einem Computerspiel, in dem Dokument wimmelt es vor antisemitischen Begriffen.
Bouffier fordert kulturellen Wende
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) forderte eine geistig-moralische Wende der gesamten Gesellschaft im Umgang mit dem Rechtsextremismus. „Die Ächtung von rechtsextremer Gewalt und Hass im Netz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagte Bouffier unserer Redaktion.
„Wir brauchen einen kulturellen Wandel. Wenn heute Kinder auf Schulhöfen mit ‚Du Jude’ beschimpft werden oder ein Täter nach einer Messerattacke vor einer Synagoge in Berlin laufen gelassen wird, läuft etwas grundsätzlich falsch in unserer Gesellschaft“, sagte der CDU-Politiker. Heute sei im Internet vieles sagbar und sendbar, was vor Jahren unvorstellbar gewesen sei. Hessen lege gerade ein großes Programm gegen Hassbotschaften im Netz auf. „Das beinhaltet auch, dass die Bürger melden können, wenn zu Hass und Gewalt gegen Minderheiten aufgerufen wird.“
Auch der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sieht die Bekämpfung des Rechtsextremismus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Bewegung gegen alles, was die Hemmschwelle zur Gewalt absenkt“, sagte Weil unserer Redaktion. „Hass, Gewaltaufrufe und Verunglimpfungen im Netz müssen geächtet werden, denn den Worten folgen Taten“, sagte Weil. „Das schaffen Politik und Behörden nicht allein. Dafür muss der Impuls auch aus der Bevölkerung kommen.“ Die große Mehrheit in Deutschland wünsche sich ein friedliches Zusammenleben. „Diese Mehrheit muss deutlich lauter und sichtbarer werden“, forderte Weil.