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Rudolf Henke legt Amt nieder: Arzt und Patient als Koproduzenten der Gesundheit

Rudolf Henke legt Amt nieder : Arzt und Patient als Koproduzenten der Gesundheit

Arzt und Patient als Koproduzenten: So sieht es der Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Am kommenden Wochenende legt der Aachener Bundestagsabgeordnete Rudolf Henke (CDU) dieses Amt nieder.

Den Ärzten geht es wie den Piloten; beide Berufsgruppen umweht ein wenig der Hauch des schönen Lebens, ein Renommee, das nicht zu der Auffassung führt, die in diesen Branchen Tätigen hätten Gewerkschaften nötig. Nun macht jene der Piloten schon mal öfter – für Passagiere unangenehm – von sich reden. Die Gewerkschaft der Ärzte tritt in der Regel dezenter in Erscheinung. Sie nennt sich Marburger Bund, hat immerhin 120.000 Mitglieder und ist die größte Ärzteorganisation mit freiwilliger Mitgliedschaft in Europa.

Der Aachener Bundestagsabgeordnete Rudolf Henke (CDU) ist seit 2007 Erster Vorsitzender des Marburger Bundes und genau das nur noch wenige Tage. Der 65-Jährige legt auf der Hauptversammlung am 8./9. November sein Amt nieder. „Zwölf Jahre sind genug“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung und möchte natürlich das Bild vom „schönen Leben“ korrigieren und erläutern, warum Ärzte sehr wohl eine Gewerkschaft benötigen.

„Es gibt in unserem Berufsstand ein breites Spektrum – vom hochgradig technisierten Radiologen bis zum Hausarzt auf dem Land, vom Chefarzt bis zum Stationsarzt“, sagt Henke. Klischees über Ärzte seien immer noch verbreitet. Als Experte werde der Arzt nach wie vor anerkannt, aber seine vormals nahezu unumschränkte Autorität sei passé. „Die Patienten wollen mitreden und mitentscheiden. Der Arzt muss für deren informiertes Einverständnis sorgen. Das Wiedererlangen von Gesundheit ist eine Koproduktion beider. Das zu lernen, ist für die Ärzteschaft mühselig gewesen. Inzwischen hat sie es begriffen.“

Gesuchte Pflegekräfte

Der Marburger Bund habe sich um Qualifizierung, Weiterbildung, Dienstzeiten, Arbeitsbelastung und Gehalt der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte zu kümmern. Der Bedarf an Ärzten ist laut Gewerkschaftschef stark gestiegen. „Diesem Bedarf sind wir nach der deutschen Einheit 1990 nicht nachgekommen.“ Stattdessen wurden bundesweit sogar Studienplätze abgebaut. „Wenn ein alteingesessener Landarzt heute seine Praxis aufgibt, findet er keinen Nachfolger“, sagt Henke. „Dabei bräuchte er eigentlich sogar zwei oder drei, zumal die jungen Ärzte nicht mehr isoliert, sondern im Team arbeiten wollen. Das steigert auch die Qualität; früher gab es mehr einsame Entscheidungen.“

Der Ärztemangel sei aber für die Mediziner selbst wie für die Patienten nicht das schlimmste Defizit im Gesundheitswesen. „Aus einer aktuellen Umfrage unter unseren Mitgliedern wissen wir, dass das Fehlen von Pflegekräften sie am stärksten belastet.“ Die Ausstattung der Krankenhäuser mit ausreichend Pflegekräften sei zu lange vernachlässigt worden. „Da ist zu viel eingespart und rationalisiert worden. Der Fehler ist erkannt.“ Die Kosten für Pflegekräfte werden, so Henke, ab 2020 komplett aus dem geltenden Fallpauschalen-System ausgegliedert. „Es gibt die Zusage des Bundesgesundheitsministers, dass jede zusätzliche Pflegestelle bezahlt wird.“

Ungeliebte Fallpauschalen

Seit fast zehn Jahren werden Krankenhausleistungen durch diagnosebezogene Fallpauschalen vergütet. „Das muss unbedingt geändert werden“, sagt Henke. „Es kann in einem Krankenhaus auch Fallpauschalen geben, aber es darf nicht komplett danach finanziert werden.“ Henke bringt es auf den Punkt: „Die Leistung rechtfertigt sich aus der medizinischen Notwendigkeit; sie hängt nicht davon ab, ob und wie viel Geld da ist. Wir können doch die Frage, wie lange eine Beatmung dauern muss, nicht davon abhängig machen, dass nach einer bestimmten Stundenmenge die Vergütung auf einmal stark ansteigt.“ Für den gesamten Pflegebereich werden laut Henke die Fallpauschalen abgeschafft. „Bei den Ärzteleistungen sind wir noch nicht so weit. Wir werden das aber auf unserer Hauptversammlung klipp und klar einfordern.“

Deutschland hat im europäischen Vergleich höchsten medizinischen Standard (Patientenversorgung, Ärzte- und Krankenhausdichte, Medizintechnik, Medikamentenversorgung). „Allerdings ist das Bewusstsein, dass nicht jede medizinische Spezialversorgung überall und unmittelbar zur Verfügung steht, noch sehr entwicklungsfähig“, sagt Henke und weist sofort auf die andere Seite hin: „Viele, die im Ausland krank geworden sind, empfinden es als Segen, wieder hierzulande behandelt zu werden. Wer vergleichen kann, weiß: Unser System ist besonders gut. Es gibt keinen Staat auf der Welt, in dem es so einfach ist, zu medizinischen Spezialisten vorzudringen, wie in Deutschland. Es gibt Länder, da wartet man zwei Jahre.“

Keine Konservenfabrik

Patienten sind nach Henkes Überzeugung mit den ärztlichen Leistungen im Krankenhaus durchweg zufrieden. Es gebe allerdings zwei massive Klagen: „Mit mir redet keiner – und wenn, dann nicht lange und detailliert genug.“ Und: „Die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut.“ Beide Klagen seien berechtigt; die Ursache sei fehlendes Personal. Die Politik handle immer noch zu sehr nach dem Prinzip, ein Krankenhaus sei vor allem wirtschaftlich zu führen. „Ja, das muss man. Aber ein Krankenhaus ist keine Konservenfabrik. Da gibt es auch noch andere Kriterien.“

Diagnose- und Therapieverfahren werden immer aufwendiger, spezialisierter und teurer. Das Ziel lautet: bestmögliche medizinische Versorgung für jeden Patienten. Ist das auf Dauer zu gewährleisten? Henke nennt dafür drei Voraussetzungen:

1. Wirtschaftlicher Erfolg, der Einnahmen für die Krankenversicherungen garantiere, den das Gesundheitssystem selbst nicht gewährleisten könne, sondern Forschung, Bildung und Wirtschaftsstärke. 2. Ständiges Überlegen, was verzichtbar ist; denn jede Innovation werde irgendwann überflüssig. 3. Kluge Strukturen durch spezialisierte Zentren. Derzeit gebe es in Deutschland rund 1900 Kliniken; so viele seien nicht nötig. Eine Zahl will Henke nicht nennen. 600 – wie kürzlich von einigen Ökonomen gefordert – sei aber auf keinen Fall bedarfsdeckend. „Außerdem haben die Krankenhäuser schon stark reduziert. Seit 1995 wurden 115.000 Betten abgebaut.“