Laschet auf Wahlkampftour : Bratwurst und klare Kante
Torgau In der Union wächst die Angst, dass ein zaudernder Armin Laschet das Kanzleramt verspielt. Jetzt ist er im Osten unterwegs. Beobachtung eines Getriebenen – zwischen Flut, Schnellbooten und Würsten.
Die Flut lässt Armin Laschet nicht los. Donnerstagmorgen in Torgau an der Elbe. Romina Barth, jüngste Oberbürgermeisterin Sachsens, wartet an einer weltberühmten Stelle auf den Unionskanzlerkandidaten. Hier reichten sich 1945 wenige Tage vor Kriegsende US-Soldaten und Rotarmisten über eine zerstörte Brücke hinweg die Hände. Später errichteten die Russen in der nordsächsischen Stadt, wo das gefürchtete Reichkriegsgericht der Nazis mit großen Gefängnissen seinen Sitz hatte, ein imposantes Denkmal.
Gegen die Sonne blinzelt Laschet, liest die Inschrift. Brückenschlagen, da horcht er auf. Das ist das Lebensthema des im Aachener Dreiländereck sozialisierten Europäers. Nur eine stabile Brücke zu den Wählern, die hat der CDU-Chef offensichtlich noch nicht richtig schlagen können.
Fast kein Tag vergeht ohne neue Schockumfragen. Die Union sackt ab. 22, 23 Prozent. Jeder zweite Bürger meint, er solle zugunsten von CSU-Chef Markus Söder auf die Kanzlerkandidatur verzichten. Bei einer Befragung für den „Spiegel“ vertreten sogar 70 Prozent der Unionsanhänger diese Ansicht. Das kann keinen kalt lassen. Auch eine notorische Frohnatur nicht.
In Torgau steht er jetzt direkt am Elbufer inmitten blauer Uniformen. Das sächsische THW hat schweres Gerät aufgefahren. Auf dem Fluss zischen Schnellboote vorbei. Laschet plaudert freundlich mit THW-Präsident Marian Wendt. Dabei war der sächsische CDU-Abgeordnete im Machtkampf um die Kanzlerkandidatur für CSU-Chef Markus Söder.
Bratwurstduft liegt in der Luft. Laschet, weißes Hemd ohne Schlips, schlendert zum Grillstand. Er bittet um eine Currywurst. Er hat mitbekommen, wie SPD-Altkanzler Gerhard Schröder die Sozialen Medien mit einem flammenden Plädoyer für den Erhalt der Currywurst in den VW-Werkskantinen („Kraftriegel der Facharbeiter“) befeuert hat.
Der Torgauer Grillmeister muss den Politiker enttäuschen. Es gibt Bratwurst „Thüringer Art“. Da will Laschet lieber nicht hinfahren. Maaßen, und so. Auf den Kraftriegel für Kanzlerkandidaten wird dann ordentlich Ketchup getunkt. Was die lokale CDU-Bundestagskandidatin Christiane Schenderlein sanft rügt: „Wir Sachsen essen mit Senf!“
Kamerateams und Reporter werden ungeduldig. Unter einem Zelt geht Laschet mit seinem persönlichen CDU-Referenten die Sätze durch. Jacob Schrot hat seinem Chef eine Sache voraus: Er kann Kanzler. Zumindest mit TV-Attest. 2009 gewann Schrot als 18-Jähriger die Show „Ich kann Kanzler“. Mit auf der Bierbank sitzt Tanit Koch. Die Ex-„Bild“-Chefin dirigiert die Roadshow des Kandidaten.
Der spricht mit viel Pathos von gelebter Ost-West-Solidarität. Als in NRW die Flut kam, waren 300 Helfer aus Sachsen sofort da. Laschet redet von Löschhubschraubern, die der Bund kaufen müsse, von Warn-SMS und Sirenen, von „Hochwasser resilienten Städten“. Es ist fast Wort für Wort die Rede, die er im Düsseldorfer Landtag gehalten hat.
Die Frauen und Männer vom Technischen Hilfswerk staunen. In Sachsen ist die letzte große Flut zwar acht Jahre her. Aber wenn der vielleicht nächste Kanzler THW-Hubschrauber bestellen will? Gerne, danke, nehmen wir.
Deutlich distanzierter reagiert Marco Wanderwitz, wenn er Flut und Laschet in einem Satz hört. Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung und Charakterkopf der sächsischen CDU versteht, dass der NRW-Ministerpräsident bei der Flut am Ball bleiben muss. Wanderwitz stört die Penetranz. Ihm fehlt bislang die inhaltliche Breite. „Mit der Flutbewältigung werden wir im Osten die Wahl nicht gewinnen“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Mein Eindruck ist, dass für die Ostdeutschen die Themen gute Arbeitsplätze, bezahlbare Energie, Mobilität in Stadt und Land, Innere Sicherheit gerade wichtiger sind als die Flut.“
Wanderwitz ist mit seiner Meinung nicht alleine. Am Montag kommt der CDU-Bundesvorstand in Berlin zusammen. Zum ersten Mal seit Corona wieder in Präsenz. Seit Tagen wird Laschet bekniet, etwas mit Wumms vorzulegen. Ein 100-Tage-Programm. Einen Deutschland-Plan, mit dem er seine wolkige Ankündigung eines „Modernisierungsjahrzehnts“ durchbuchstabiert.
Laschet spürt die Unzufriedenheit. In der Union fragen sie sich bang, ob der Anzug des Kanzlerkandidaten und Merkel-Erben für den NRW-Regierungschef womöglich doch eine Nummer zu groß ist. In Torgau wird er auf die Wanderwitz-Kritik angesprochen. Laschet wehrt sich. Wenn das eigene Bundesland unter Wasser stehe, um was denn sonst solle er sich kümmern? Die Flut sei kein Wahlkampfthema: „Dann muss man einfach da sein.“ Er habe die Sprüche alle gehört: „Wo isser denn?“ Laschet ist sein eigenes Echo: „Im Einsatz für sein Land!“ Armin, der Deichgraf. Ein Landesvater, der seine Kanzlerkandidaten-Tour verschob, um den 30 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds an Land zu ziehen.
Die Erzählung hat nur einen Makel: Im falschen Moment lachte er einmal zu viel. Das hat seinem Kümmerer-Image einen heftigen Schlag versetzt.
Olaf Scholz ist in der Popularität vorbeigezogen. „Ich kommentiere Umfragen nicht“, sagt Laschet trotzig. Und zum ersten Mal blitzt das auf, was so viele in CDU und CSU schmerzlich vermisst haben: Kampfgeist, Leidenschaft, Feuer.
Schon am Morgen beim Besuch einer Halbleiter-Fabrik bei Dresden zucken Anwesende zusammen, als Laschet vor dem mit seinem Foto bedruckten Reisebus verkündet: „Der Kampf geht jetzt erst richtig los.“ In Torgau legt er nach: „Ich bin mir sicher, dass wir diese Wahl gewinnen.“ Mehr Klimaschutz könne nur global, nicht national gelingen. Nichts sei gewonnen, wenn Deutschland scheitere und seine Industriearbeitsplätze verliere: „Es geht um die Frage, ob sie Strukturwandel beherrschen oder nicht.“
Klare Kante. Die wird er brauchen. Am 29. August steigt bei RTL das erste Triell mit Olaf Scholz und Annalena Baerbock. Laschet wirbt für einen fairen Umgang. Die SPD hatte seinen engsten Vertrauten, Staatskanzleichef Nathanael Liminski, in einem Werbespot als erzkatholischen Gegner von Sex vor der Ehe angegriffen. Jegliche persönliche Diffamierung sei fehl am Platze, mahnt Laschet. SPD-Vizekanzler Scholz hat verstanden. Der Spot ist zurückgezogen worden.