Proteste gegen die Politik : Ausnahmezustand im Corona-Hotspot Sachsen
Dresden Sachsen ist wegen der explodierenden Corona-Zahlen im Teil-Lockdown. Trotzdem ziehen Corona-Gegner durch Städte und protestierten jetzt aggressiv vor dem Haus von Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD).
Sie stehen im Dunkeln auf der Straße, haben Fackeln in der Hand und Plakate: Die Szenen, die sich am Freitagabend vor dem Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) abgespielt haben und in Videos in den sozialen Medien zu sehen sind, wirken bedrohlich.
Politiker auch der Opposition verurteilten den Protest als Einschüchterungsversuch gegen eine Politikerin, die seit Monaten die Pandemie einzudämmen versucht – und das im bundesweiten Corona-Hotspot Sachsen. Was ist los im Freistaat?
Seit Wochen kämpft die sächsische Regierung gegen die explodierenden Fallzahlen. Das Robert Koch-Institut gibt die Sieben-Tage-Inzidenz für Sachsen mit Werten jenseits der 1000 an. Intensivbetten sind knapp, Patienten werden in andere Bundesländer ausgeflogen. Krankenhäuser raten selbst Tumor-Patienten, sie sollten sich um eine Behandlung etwa in Norddeutschland kümmern.
Zugleich hat Sachsen bundesweit die niedrigste Impfquote – trotz aller Appelle sind nur gut 58 Prozent der Menschen vollständig geimpft. Angesichts der Situation verordnete die Landesregierung dem Freistaat vor zwei Wochen die aktuell strengsten Corona-Regeln in Deutschland. In vielen Bereichen gilt 2G, Restaurants dürfen nur in einem begrenzten Zeitfenster öffnen. Für Demonstrationen gibt es Regeln – sie sind nur ortsfest mit bis zu zehn Teilnehmern erlaubt.
In den vergangenen Wochen hielt das Gegner der Corona-Politik dennoch nicht davon ab, zum Teil mit Hunderten durch sächsische Orte zu ziehen. Zwar erstattete die Polizei etwa in Freiberg Anzeige gegen eine Personengruppe. Bei vielen anderen Versammlungen ließen die Beamten die Demonstranten aber gewähren. Ein „Kontrollverlust“ ist das etwa nach Ansicht der Linken-Politikerin Kerstin Köditz. Der Druck auf Innenminister Roland Wöller (CDU) wächst.
Wöller hatte in den vergangenen Wochen immer wieder betont, dass die Polizei nicht gewaltsam gegen Demonstrationsteilnehmer vorgehen werde. „Was wäre denn die Alternative? Mit Waffengewalt oder mit Gewalt (...) die Menschen auseinandertreiben – das kann keine Alternative sein. Gewalt ist nicht das Mittel der Wahl“, sagte er. Nach dem Protest vor Köppings Haus sprach sich Wöller allerdings für ein „klares und schnelles Signal des Rechtsstaates“ aus.
Die Polizei hatte wegen des Protests vor Köppings Haus Anzeige wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz erstattet und prüft Verstöße gegen die Corona-Verordnung. Auch der Staatsschutz untersucht die Vorkommnisse auf strafrechtlich relevante Aspekte.
Experten sehen zwischen den aktuellen Corona-Protesten und den Pegida-Demonstrationen von 2015 Parallelen. Von einem teils verfestigten Milieu sprach etwa der Dresdner Historiker Mike Schmeitzner, Professor am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung der TU Dresden, bereits im vergangenen Jahr. Unter den Demonstrierenden seien Menschen, die sich in ihrer Grundkritik am „System“ augenscheinlich festgelegt hätten.
Ähnlich klang zuletzt auch die Einschätzung der sächsischen Sicherheitsbehörden. „Die Idee eines gewaltsamen Widerstands gegen demokratische Regeln gehört inzwischen zu den typischen Standardforderungen der Bewegung der Corona-Leugner“, erklärte der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz, Dirk-Martin Christian. Auch unter dem Einfluss von Rechtsextremisten, sogenannten Reichsbürgern und Antisemiten seien die Anti-Corona-Proteste im Verlauf der Pandemie immer aggressiver geworden.
Die Lage könnte sich durch eine Impfpflicht gegen das Coronavirus noch weiter aufheizen, warnte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thomas Strobl (CDU). Nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes könne man davon ausgehen, dass „eine Impfpflicht die aggressive Haltung der Querdenker-Bewegung noch verstärkt“, sagte der baden-württembergische Innenminister den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Entschlossen will sich die Dresdner Polizei am Montag zeigen. Sie bereitet sich auf einen Großeinsatz vor dem Sächsischen Landtag vor, weil in den sozialen Medien zum Protest aufgerufen wird. An dem Tag will das Parlament die epidemische Lage beschließen und damit Rechtssicherheit für eine Fortsetzung bestehender Corona-Schutzmaßnahmen schaffen.
„Auch Extremisten mobilisieren für einen Protest vor dem Sächsischen Landtag. Unsere Gefahrenprognose, Grundlage unserer Einsatztaktik, ist damit eine ganz andere als an den vergangen Montagen“, sagte Polizeipräsident Jörg Kubiessa. Eine „härtere Gangart der Polizei“ werde die logische Konsequenz sein.