Zeitumstellung : Am Wochenende wird wieder an der Uhr gedreht
Aachen Immer weiter, ernst und heiter geht die Zeit. Ab und zu wird sie mal umgestellt. Daraus ergeben sich manche Irritationen und viele Fragen. Denn sie ist so schwer zu fassen.
Wenn die Politik sich daran begibt, die Zeit umzustellen, wird es hochproblematisch. Oder – es passiert gar nichts. Fragt sich, welche Variante zu bevorzugen wäre.
„The time is out of joint. O cursed spite, / That ever I was born to set it right!“
(Die Zeit ist aus den Fugen, Schmach und Gram, / Dass ich zur Welt, sie einzurichten, kam!)
Wer in der Nacht zum Sonntag um drei Uhr seinen Wecker auf zwei Uhr zurückstellt, wird diese Worte vor sich hin flüstern und dabei an Jean-Claude Juncker denken. Schließlich hat der EU-Kommissionspräsident vorgeschlagen, mit dem ständigen Vor- und Zurückstellen der Uhren endlich aufzuhören. Er befindet sich damit im Einklang mit dem Europaparlament und jenen 84 Prozent der Europäer, die vor einigen Jahren in einer Umfrage für ein Ende der Zeitumstellung plädiert haben. 4,6 Millionen Europäer nahmen daran teil, davon allein drei Millionen aus Deutschland – dazu weiter unten mehr.
Jene zitierte gramvolle Aussage stammt allerdings gar nicht von Juncker, sondern von William Shakespeare, der sie seinem Hamlet in den Mund gelegt hat. Und bei dem Königssohn ging es um ein bisschen mehr als nur um Zeit. Doch der Däne Hamlet hat mit dem Luxemburger Juncker mehr gemeinsam als gedacht: hoher Anspruch, hehre Ziele, pflichterfüllt, aber handlungsschwach. Der tragische Held ist so ratlos wie der scheidende Kommissionschef.
Meist symbolisiert die ganz oder halb nackte Europa auf dem Stier den hiesigen Kontinent. Das ist zwar attraktiv, doch der zweifelnde Hamlet taugt eher als Sinnbild der Europäischen Union. Der erste Akt von „Hamlet“ endet zudem nicht mit der oben zitierten Aussage; es folgt ein letzter Satz:
„Nay, come, let’s go together.“
(Nun kommt, geh’n wir zusammen.)
Und damit sind wir mitten im Dilemma der Europäischen Union, die sogar in der Frage einer einzigen lächerlichen Stunde – vor oder zurück – es nicht schafft, zusammen voranzuschreiten.
Andreas Scheuer liest Einstein
Wie die EU künftig mit der Zeit umgehen wird, ist völlig offen. 16 Staaten von Spanien bis Polen sind derzeit in einer gemeinsamen Zeitzone. Bislang können sie sich aber nicht einigen, ob es in Zukunft ganzjährig bei Winter- oder Sommerzeit bleiben soll. Vermieden werden soll, dass es zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Uhrzeiten kommt. Die Bundesregierung legt sich nicht fest, denn das Meinungsbild hierzulande ist differenziert und so unübersichtlich wie die Zeit an sich. Aus dem Dilemma, dass es morgens später hell wird, wenn es abends zuvor später dunkel wurde, kommt niemand heraus.
In keinem anderen EU-Land bewegt die Zeitumstellung so sehr die Gemüter wie in Deutschland. Erst war man hierzulande schon in den 80er Jahren wie jeck danach, jetzt will offensichtlich die Mehrheit davon nichts mehr wissen. Die einen wollen immer Winter-, die anderen immer Sommerzeit. Im übrigen Europa sieht man die Angelegenheit gelassener. Im hohen Norden skandinavischer Länder ist es monatelang mal fast ganz dunkel und mal ganz hell; da regt sich niemand wegen einer Stunde auf. Und im Süden lässt man die Zeit gerne mal laufen. Wer Siesta hält, kümmert sich nicht darum, zu welcher Uhrzeit die Sonne auf- oder untergeht.
Das Dilemma liegt darin, dass Gelassenheit nichts regelt, sie mit Blick auf die Zeit aber die am meisten angemessene Haltung ist. Wenn es etwas im Überfluss gibt, ist es Zeit. Sie wird unentwegt verbraucht, ist aber ständig da. Für Politiker, die permanent Mangel zu verwalten, zu korrigieren oder zu beseitigen haben, ist Zeit also ein über alle Maßen verlockender Gegenstand, dessen man sich gerne annimmt, weil er zudem nichts kostet. Auf den grünen Zweig kommt die Politik damit allerdings nicht, wenn die Verantwortlichen sich nicht entscheiden können, was sie mit der Zeit machen sollen.
Dummerweise sind in der EU die Verkehrsminister für die Zeitumstellung zuständig. Warum, weiß kein Mensch. Hierzulande ergibt sich daraus das Problem, dass der Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) heißt und schon mal etwas gehört hat von Albert Einstein, der Relativitätstheorie und der Verbindung von Raum und Zeit. Insofern besteht die reale Gefahr, dass der Maut-Enthusiast Scheuer auf die Idee kommt, all denjenigen, die zu Fuß, per Auto, Bahn, Flugzeug oder Schiff zu uns kommen und deutschen Raum in Anspruch nehmen, eine Zeit-Maut aufzuerlegen.
Der Sinn der Sommerzeit war (und ist?), die Zeit besser zu nutzen und Energie zu sparen. Die Zeit sollte an die Gebote der Effizienz angepasst und insofern umgestellt werden. Dieser Idee lässt sich etwas abgewinnen, wenn man abends in lauer Luft und bei warmem Licht länger auf dem Balkon oder der Terrasse sitzen kann. Ein Energieeffekt hat sich nach Expertenmeinung kaum eingestellt. Stattdessen sind gesundheitliche Belastungen aufgetaucht. Dabei war, bevor die fragwürdige Idee der Sommerzeit Realität wurde, längst bekannt, dass die sogenannte innere Uhr des Menschen sich nicht einfach nach Hell und Dunkel richtet, sich eben nicht einfach vor- und zurückstellen lässt. Bleibt als Maßgabe nur: Guckt nicht so oft auf die Uhr und geht früh genug ins Bett!
Augustinus antwortet nicht
Die Zeit lässt alles mit sich machen und tut trotzdem, was sie will. Sie lässt sich nicht fassen – allenfalls für die Vergangenheit. Was jetzt Gegenwart ist, ist im nächsten Moment schon Vergangenheit. Was gerade noch Zukunft war, ist bereits Gegenwart und schon wieder Vergangenheit. „Die Zeit vergeht so schnell“, heißt es allenthalben. Fürwahr – aber die Klage ist müßig. Weiter bringt uns selbst der weise Augustinus nicht, der auf die Frage, was die Zeit sei, sagte: „Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich es. Wenn ich es jemandem auf seine Frage hin erklären will, weiß ich es nicht.“
Was soll also im Angesicht dieser unlösbaren Frage die ständig überforderte Europäische Union tun, die irgendwann angefangen hat, an der Zeit herumzubasteln, und ihr jetzt hinterherläuft? Selbst wenn die Zeit auf einmal stehen bleiben würde, wäre das allenfalls eine Lösung des unendlichen Brexit-Problems – mehr nicht.
„The time is out of joint. O cursed spite, / That ever I was born to set it right!“
(Die Zeit ist aus dem Leim, Fluch ihren Tücken, / dass jemals ich geboren ward, um sie zurechtzurücken!)