Aachen : Wie RTL mit Hühner-Hansi Quote macht
Aachen Die Milch zum Kaffee kommt direkt aus der Kuh. Neben dem tierischen Porzellankännchen liegt die „Bild”-Zeitung vom Vortag aufgeschlagen auf dem Küchentisch. Hühnerwirt Hansi, 72, präsentiert sich dort in Gummistiefeln und Hut - sonst trägt er nichts.
Georg Pohen, 39, schüttelt den Kopf. „Das ist ja...” Dem Landwirt aus Aachen fehlen die Worte. Soviel öffentlich zur Schau gestellter Bäuerlichkeit! „Das darf doch nicht wahr sein”, sagt er schließlich.
Hühnerwirt Hansi ist einer von neun Bauern, die derzeit versuchen, ihr privates Glück in der Öffentlichkeit zu finden. Die Sendung zum exhibitionistischen Landwirt hießt „Bauer sucht Frau” und läuft erfolgreich bei RTL. Montag für Montag schalten rund acht Millionen Zuschauer ein, wenn Moderatorin Inka Bause den ein wenig minderbemittelt wirkenden Landwirten in Liebesdingen auf die Sprünge hilft. Zum Vergleich: Bei Quotenkönig Günther Jauch und seiner Sendung „Wer wird Millionär” guckt eine Stunde zuvor im Schnitt knapp eine Million Zuschauer weniger zu.
Globale Agrar-Romantik
Manch ein Soziologe will schon eine neue globale Agrar-Romantik ausgemacht haben. Die Sehnsucht nach dem einfachen Leben auf dem Land habe Einzug gehalten in die Popkultur, heißt es. Trendforscherin Birgit Gebhardt hat beobachtet, dass junge Familien wieder robuste, kantige Holztische bevorzugen. „Ein Sinnbild für die Suche nach Ursprünglichkeit”, sagt sie. Und auch kulinarisch soll es neuerdings wieder traditionell zugehen: Landgaststätten machen Sushi-Bars Konkurrenz - in New York zum Beispiel gibt es ein Scheunen-Restaurant, in dem sich die Gäste ein wenig fühlen können wie im Heuschober.
Dort wälzen sich bei RTL Misch-Bauer Frank und die Büroangestellte Claudia. Unterlegt ist die Szene mit der wohligen Stimme von Inka Bause: „Frank sehnt sich nach Zärtlichkeit. Und auch die alleinerziehende Mutter aus dem Ruhrgebiet genießt seine Nähe - ungestört kuscheln sie im Heu.” Frank sagt hinterher, dass sich bei ihm etwas in der Bauchgegend entwickelt habe.
Georg Pohen will über derlei offensichtlichen Schwachsinn noch nicht einmal mehr lachen. Das Bild vom weltfremden Gülle-August, das diese Sendung in der Öffentlichkeit erzeugt, hat mit dem wirklichen Leben eines Landwirts nichts zu tun. „Ich bin Unternehmer”, sagt Pohen und als solcher steht er im täglichen Wettbewerb - für Kuscheln im Heu bleibt da wenig Zeit.
70 Milchkühe, noch einmal soviele Rinder und Kälber, dazu 70 Hektar Ackerfläche - „all das will bewirtschaftet werden”, sagt Pohen. Zwischen EU-Vorschriften, Dünge-Verordnung, Business-Plänen und hochmoderner Technik - längst ist der Laptop genauso alltäglicher Begleiter wie der Traktor. Es ist ja nicht so, als ziehe der Bauer morgens noch mit der Mistgabel aufs Feld.
Für Schafbauer Heinrich, 41, der die Hose bevorzugt bis über den Bauchnabel trägt und dessen Gesichtsausdrücke keine intellektuellen Kamin-Gespräche am Abend versprechen, gilt das so nicht. Die Haare kleben ihm verschwitzt am Kopf, als er zusammen mit der angebeteten Claudia seinen Hirtenstab schwingend die Schafherde auf eine neue Wiese treibt. Er spricht Sätze, die von RTL untertitelt werden müssen, weil man sie sonst nicht verstehen würde. Dann steht da zum Beispiel: „Anja ist eine liebe Frau. Wir verstehen uns gut.”
Auch für Gerd Sonnleitner wäre ein Untertitel manchmal nicht abträglich. Vor allem dann, wenn der Niederbayer verärgert ist. Sonnleitner ist Präsident des Deutschen Bauernverbandes und reagiert gereizt auf die verklärte Bauernromantik bei RTL. In einem Interview mit dem „Spiegel” behauptet er, die Bauern seien von Regisseuren und Sendermachern ferngesteuert. „Die werden als einsame Trottel präsentiert, die nicht wissen, wie sie sich benehmen sollen.”
Da werde zu Gunsten der Quote eine ganze Berufsgruppe der Lächerlichkeit preisgegeben. Damit steht auch ein Stück seines Lebenswerks auf dem Spiel. Sonnleitner arbeitet seit Jahren am neuen Bild des Bauern. Als new economy und nicht als old economy will er das Berufsbild des Landwirts verstanden wissen. Da passen Hühner-Hansi und die anderen RTL-Gigolos nicht dazu.
Dann schon eher Georg Pohen. Er gehört zur neuen Generation des Landwirts - weltoffen, gebildet und angemessen gekleidet: hellblaues Hemd unter einem Pullover, dessen Karos farblich auf den Kragen abgestimmt sind. Auf die Frage, ob er denn je Probleme hatte, eine Frau kennenzulernen, lächelt er nur vielsagend. Der Beweis sitzt neben ihm: Claudia Pohen, 32. Seit gut drei Jahren sind die beiden verheiratet. Ihr Sohn Gero geht inzwischen in die Kita. Auch sie will dem plumpen Image, das Fernsehen und Boulevard vom Bauern in der Öffentlichkeit erzeugen, vehement widersprechen.
Man lebe ja nicht mehr ausschließlich hinter Hofmauern, sagt sie. Freunde, Theater, Kino - ja sogar in Urlaub fährt Familie Pohen. Die Zeiten, wo man über den eigenen Acker nicht hinaus kam, sind längst passé. Eine Mischung aus Ärger und Mitleid empfinde sie, wenn sie sich die Sendung anschaue. Mit der pseudo-romantischen Unbeholfenheit der RTL-Bauern habe ihr Leben jedenfalls nichts gemein.
Enthüllungsjournalismus
Gemeinsame Sachen scheinen hingegen RTL und „Bild”-Zeitung zu machen. Kaum ein Tag vergeht, an dem das Boulevard-Blatt nicht versucht, mit einer Schlagzeile aus dem „Bauern-Stadl” Auflage zu machen und damit wie nebenbei die Quote der Sendung zu befeuern. Stets steht dabei der Enthüllungs-Journalismus im Vordergrund: Neben den nackten Tatsachen jüngst auch die „Knebel-Verträge”, die die Bauern mit der für die Sendung zuständigen Produktionsfirma MME unterschreiben mussten.
Die Mitwirkenden gestehen darin ein, dass sie „in physischen und psychischen Ausnahmesituationen, weinend und im Streit mit Dritten gefilmt werden dürfen”. Ihr Lohn für diese Form der medialen Sklavenhaltung: 350 Euro pro Drehtag - Peanuts im Vergleich zu sonstigen Fernsehgagen. Das passt ins Bild. Der liebesbedürftigte Bauer wird erst emotional vorgeführt und dann finanziell ausgebeutet. Von der viel zitierten Bauernschläue lässt RTL einfach nichts übrig.
Erfolgsformat: Bauern suchen auf der ganzen Welt nach Frauen
Die deutschen Bauern sind nicht alleine mit ihrer Sehnsucht nach Zweisamkeit. Nach der großen Bauernliebe sucht man von Australien bis Frankreich.
Seit 2005 werden im deutschen TV Single-Bauern verkuppelt, die aktuelle „Bauer sucht Frau”-Staffel ist bereits die vierte. Auf „deutschem Mist” ist diese Quoten bringende Idee allerdings nicht gewachsen - Vorlage war die britische TV-Show „Farmer Wants a Wife”, die 2001 TV-Premiere feierte.
Mittlerweile wird weltweit gesucht, und zwar auf die unterschiedlichste Weise. Während die deutschen liebestollen Bauern eher unbeholfen und teilweise noch unberührt nach ihrer Traumfrau Ausschau halten, sucht man in den USA „Hollywood-like”. Dort durfte ein extrem gut aussehender, gut gebauter Traummann zwischen mehreren Kandidatinnen wählen - Kreischalarm und Zickenkrieg inklusive.
Und in den Niederlanden, Australien und Frankreich ist man noch ein Stückchen weiter: Dort dürfen auch Bäuerinnen ihr Liebesglück suchen. 13 Länder haben das Erfolgsformat „Bauer sucht Frau” bereits in ihr TV-Programm aufgenommen.
Das Publikum ist weiblich und wohnt auf dem Land im Osten
Vergangenen Montagabend erreichte die Sendung „Bauer sucht Frau” ab 21.15 Uhr mit 8,59 Millionen Zuschauern (Marktanteil: 27,4 Prozent) einen neuen Rekordwert. Die bisherige Bestmarke hielt das Finale der vergangenen Staffel mit 8,45 Millionen Zuschauern.
Das Interesse der Landbevölkerung an der RTL-Produktion ist nach einer Auswertung des Marktforschungsunternehmens Media Control (Baden-Baden) besonders hoch. In Flächenstaaten erzielte die Sendung überdurchschnittliche Werte.
Den höchsten Marktanteil verbuchte die Reihe am Montagabend in Thüringen (37,5 Prozent), gefolgt von Sachsen (36,1 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (35,9 Prozent) und Niedersachsen (33,2 Prozent). Deutlich geringer war die Resonanz in den Ballungsräumen Berlin (17,2 Prozent) und Hamburg (17,9 Prozent).
Frauen (30,6 Prozent) ließen sich eher begeistern als Männer (23,3 Prozent). Im Osten (32,3 Prozent) lag der Marktanteil höher als im Westen (26,2 Prozent).