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Fast ausgestorbener Beruf: Wie ein Kohlehändler das Ruhrgebiet anheizt

Fast ausgestorbener Beruf : Wie ein Kohlehändler das Ruhrgebiet anheizt

Metallisch glänzende Steinkohle-Bröckchen gibt es im Ruhrgebiet nicht nur auf alten Halden. Manchmal reicht ein Blick in den Keller: Der nach dem Ende der Zechen unüblich gewordene Brennstoff Kohle gehört für viele Menschen noch zum Leben. Für Andere ist er ein Problemfall.

Fast zu schmal ist das Kellerfenster im Haus von Jessica Gerlach in Gelsenkirchen-Hassel. Die strahlend weißen Kunststoffsäcke passen gerade noch hindurch. Einen halben Zentner wiegt ein einziger. Kohle ist darin, 25 Kilogramm Steinkohle. Sorte Anthrazit aus Ibbenbüren, schon recht fein gemahlen, damit die Heizung nicht verstopft. 40 Säcke bekommt Frau Gerlach an diesem Tag, Vorrat für die nächste Zeit.

Die Auslieferungsfahrer Roland Lohschelder (58) und Jens Meyer (43) wissen, wie das geht: Kohle sauber abladen. Beide arbeiten schon mehr als zehn Jahre beim Essener Brennstoffhandel Seidelmann, einem der letzten Kohlenhändler im Ruhrgebiet. Meyer holt die Säcke vom Wagen, gern auch zwei auf einmal, einen in jeder Hand. Lohschelder geht in den Keller, nimmt die Säcke an und stapelt sie in einer Ecke aufeinander. Nach einer halben Stunde haben die beiden die Tonne in den Keller geschleppt.

Frau Gerlach (37) lebt in einem sanierten 85-Quadratmeter-Zechenhaus – mit Kohlezentralheizung. „Es ist eine besondere Wärme. Man ist damit groß geworden“, sagt die Tochter eines früheren Bergmanns. „Es ist wohlig warm. Wie vorm Kamin sitzen.“ Keine Nachteile? Doch, die Kohle mache „ein wenig Dreck“: Wenn der Ofen laufe, „liegt jeden Tag auf den Möbeln eine kleine Staubschicht“. Aber: „Das nehmen wir in Kauf für den Preis.“ Mit zwei Tonnen Kohle für zusammen 640 Euro kämen sie normalerweise durch den Winter. Und viel Arbeit mache das Gerät auch nicht: Einmal pro Woche muss die Asche raus. Alle 14 Tage muss Kohle in den Vorratsbehälter.

Wilhelm Seidelmann ist einer der Firmeninhaber. Der groß gewachsene Mittfünfziger steht gerade auf dem Lagerplatz der Firma in Gelsenkirchen. „Anthrazit Nuss drei“ heißt die Sorte, die er gerade in Ibbenbüren besorgt hat. Bis zu 35 Millimeter sind die Stücke groß. „Das liefern wir morgen an einen Kohlenhändler im belgischen Genk.“

Schleppen ist angesagt: Fahrer Jens Meyer liefert im Ruhrgebiet Kohle in Säcken aus.
Schleppen ist angesagt: Fahrer Jens Meyer liefert im Ruhrgebiet Kohle in Säcken aus. Foto: Oliver Berg/dpa/Oliver Berg

Zusammen mit vier Familienmitgliedern betreibt Seidelmann in Essen und Gelsenkirchen in vierter Generation ein 1889 gegründetes Brennstoff-Handelsgeschäft mit zehn Angestellten. Früher gab es im Ruhrgebiet hunderte Zechen. „Pros­per Haniel“ in Bottrop, das letzte aktive Steinkohlen-Bergwerk im Ruhrgebiet, wurde am 21. Dezember 2018 mit einem offiziellen Festakt geschlossen. In Deutschland wird nun keine Steinkohle mehr zu Tage gefördert.

Aber es wird gehandelt. Mehrere tausend Abnehmer hat die Firma Seidelmann, ein Großteil davon ehemalige Bergleute, die lange Zeit auch im Ruhestand Anspruch auf Kohle hatten, das sogenannte Deputat. Diese Kunden ließen sich über viele Jahre ihre Kohle nicht als Energiebeihilfe auszahlen, sondern nahmen lieber die echte Kohle für ihre Heizung. 2,5 Tonnen standen bislang jedem Rentner pro Jahr zu. Mit dem Ende der Steinkohlenförderung in Deutschland endete jedoch auch diese Regelung.

  Der Kohlenhändler Wilhelm Seidelmann versorgt Haushalte nicht nur im Ruhr­gebiet mit dem Brennstoff.
Der Kohlenhändler Wilhelm Seidelmann versorgt Haushalte nicht nur im Ruhr­gebiet mit dem Brennstoff. Foto: Oliver Berg/dpa/Oliver Berg

Vor allem Ältere beliefert der Händler. Erst am Vortag habe er mit einem 89-Jährigen in Moers gesprochen, der sich keine neue Heizung mehr kaufen möchte. Vor allem in den Zechensiedlungen hätten noch einige Bewohner sogenannte Dauerbrandöfen. „Für die Leute ist das wichtig, dass das weitergeht.“ Für Seidelmann auch. Er hofft, dass er künftig etwa 5000 Privathaushalte beliefern wird.

  Die Einfahrt zur Kohlenhandlung Seidelmann in Essen: Der Händler liefert auch nach dem Aus für die Zechen Brennstoffe für Haushalte im Ruhrgebiet aus.
Die Einfahrt zur Kohlenhandlung Seidelmann in Essen: Der Händler liefert auch nach dem Aus für die Zechen Brennstoffe für Haushalte im Ruhrgebiet aus. Foto: Oliver Berg/dpa/Oliver Berg

Auch mit Kohle aus Deutschland. „In Ibbenbüren gibt es noch mindestens zwei, drei Jahre Kohle, die haben noch so viel Ware auf Halde.“ Alles andere importiert Seidelmann. „Zum Beispiel Anthrazitkohle aus Vietnam und Wales, Gasflammkohle aus Kolumbien, Lokkohle aus Polen oder Holzkohle aus Argentinien.“ Seine Kunden sitzen in ganz Nordrhein-Westfalen, aber auch in Belgien, Polen, Österreich oder Schweden. Seidelmann hat Kohle für jeden Bedarf: Grobe „Lokkohle“ für Dampfloks oder Dampfmaschinen etwa in Industriemuseen, „Fettkohle“ für Schmieden oder auch Kohlebriketts – aus Braunkohle.

Zurück auf dem Sackwagen. Auslieferungsfahrer Lohschelder findet es nicht gut, dass keine Kohle mehr in Deutschland gefördert wird. „Kohle ist genug da. Nach dem Ende kaufen die die Kohle woanders.“ Auch eine höhere Arbeitslosigkeit befürchtet er. „Aber das ist Politik. Da können wir uns nicht einmischen“, sagt der 58-Jährige.

Zwei Tonnen gehen zur zweiten Adresse in Gelsenkirchen-Resse, ebenfalls für ein Einfamilienhaus. „Es ist für uns kostengünstiger“, sagt Mieterin Christiane Englich (53). Und ohne Deputatkohle? „Gasheizung kommt auf gar keinen Fall in Frage, weil das viel zu teuer ist und die Wärme nicht so schön ist.“

  Bei vielen immer noch ein begehrter Brennstoff: Fahrer Roland Lohschelder füllt Kohle in einen Sack,  damit sie dann zu den Kunden transportiert werden kann.
Bei vielen immer noch ein begehrter Brennstoff: Fahrer Roland Lohschelder füllt Kohle in einen Sack, damit sie dann zu den Kunden transportiert werden kann. Foto: Oliver Berg/dpa/Oliver Berg

Diesmal sind 80 Säcke abzuladen, die meisten müssen in den Keller. Eng ist der Abgang, schmal sind die Stufen. Die beiden Fahrer kommen ordentlich ins Schwitzen. Lohschelder erzählt, dass manche Kunden sich die Kohle auch lose auf den Bürgersteig vors Haus kippen lassen und dann selbst zur Schüppe greifen, um den Brennstoff in den Keller zu verfrachten. Englich erzählt dazu eine kleine Anekdote aus ihrer Jugend: „Wenn wir nach Hause kamen und einen Berg Kohle vor der Tür gesehen haben, haben wir schnell noch mal eine große Runde mit dem Rad gedreht, um uns zu drücken“.

Wie viele Wohnungen genau noch mit Kohle heizen, ist nicht bekannt. Die 2015 veröffentlichte Studie „Wie heizt Deutschland?“ des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft spricht von rund 300.000 Kohleheizungen bundesweit, unterscheidet aber nicht zwischen Braun- und Steinkohle. 300.000 sind nicht mehr viel bei 40,4 Millionen Wohnungen.

Geht es nach den Hertener Stadtwerken im Norden des Ruhrgebiets, können es ruhig noch weniger werden. Kohleheizungs-Experte Klaus Telges nennt gleich mehrere Gründe, die aus seiner Sicht gegen Kohleheizungen sprechen. „Aus dem Schornstein eines Hauses mit Kohleheizung gehen besonders viele ungefilterte Schadstoffe in die Luft, etwa Stickoxide, Kohlenmonoxid und vor allem Rußpartikel. Ein Haus mit einem Kohleofen ist wirklich eine Dreckschleuder.“ Auch sonst lässt er an der Steinkohle kein gutes Haar: „Kohle ist im Moment sehr teuer, man macht sich dreckig, man braucht einen zusätzlichen Lagerraum im Keller und hat auch immer das Staubproblem im Haus.“

Der Stoff, aus dem die Wärme kommt: Eierkohle auf einem Haufen.
Der Stoff, aus dem die Wärme kommt: Eierkohle auf einem Haufen. Foto: Oliver Berg/dpa/Oliver Berg

Auch bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sieht man den Einsatz von Kohle in Einzelöfen kritisch. Neben der Luftbelastung durch Feinstaub und Ruß sei insbesondere der hohe Schwefelgehalt der Kohle schädlich, sagt DUH-Experte Patrick Huth. Und zum Thema Klimaverträglichkeit teilt die Expertin für Kleinfeuerungsanlagen beim Umweltbundesamt, Anja Nowack, schlicht mit: „Kohlefeuerungen emittieren mehr Kohlendioxid als Erdgas- oder Holzfeuerungen.“

Der Händler Seidelmann sieht manches anders als die Kritiker. Vor allem zwei Gründe sprechen aus seiner Sicht für eine Kohleheizung: „Kohle ist günstiger als Öl und Gas.“ Auch gehe von solch einem Ofen besondere Wärme aus.

Seidelmann heizt auch selbst mit Kohle, na klar. Am Stammsitz der Firma in Essen steht ein Ofen und auch bei ihm zu Hause sorgt ein Kaminofen für Wärme. Wegen des Endes der deutschen Förderung wird auch er ein bisschen wehmütig. Er habe schon viele Zechenschließungen miterlebt. Was bleibt? „Die Erinnerung. Für spätere Generationen nicht viel – nur die Gerüste.“