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Hameln: Weihnachten im Jugendknast: „Für einen Moment nicht eingesperrt sein”

Hameln : Weihnachten im Jugendknast: „Für einen Moment nicht eingesperrt sein”

Seit seiner Jugend kennt Jens fast nur ein Leben hinter Gittern. In diesem Jahr feiert der 21-Jährige schon sein siebtes Weihnachtsfest in Deutschlands größtem Jugendgefängnis in Hameln. Diesmal sitzt er wegen schwerer Körperverletzung ein - aber auch Diebstahl, Raub und Bedrohung stehen in seiner Strafakte.

Mit seiner kräftigen Statur und seiner kriminellen Vergangenheit hat er sich Respekt unter den insgesamt mehr als 640 Gefangenen verschafft. Aber besonders in der Adventszeit wird er sensibel und nachdenklich.

„Weihnachten hat für mich vor allem mit Schmerz zu tun, weil meine Familie nicht dabei ist”, sagt der 21-Jährige. Er sitzt zurzeit in der Sicherheitsabteilung, weil er gleich gegen mehrere Regeln der Jugendanstalt (JA) verstoßen hat. Diese Station bedeutet im Normalfall: den überwiegenden Teil des Tages eingeschlossen in der Zelle und weniger Kontakt zu den Mitgefangenen. Viele Häftlinge sitzen hier nur lethargisch vor dem Fernseher. „Die Filme in der Weihnachtszeit sind einfach besser”, sagt ein anderer 21-Jähriger, der auch schon sein fünftes Fest in dem niedersächsischem Gefängnis verbringt.

„Zum Jahresende gibt es bei uns einen erhöhten Bedarf an Aufmerksamkeit”, betont die Leiterin der Jugendanstalt, Christiane Jesse. Da Arbeit und Schule an den Feiertagen ruhen, müsse den Häftlingen mit anderen Aktivitäten eine Tagesstruktur und Halt gegeben werden.

Zusätzliche Sportangebote sowie Kickern und Kartenspielen sorgen dafür, dass die Justizbediensteten „dicht an den Inhaftierten dran sind, um auf Verstimmungen und Spannungen rasch zu reagieren”. So spielen sie sogar mit den „schweren Jungs” in der Sicherheitsabteilung Tischtennis oder Gesellschaftsspiele.

In dieser trüben und dunklen Jahreszeit steigt vor allem der Gesprächsbedarf mit den Seelsorgern in der JA Hameln. „Die Jugendlichen, die sonst wenig Interesse am familiären Umgang zu Weihnachten hatten, werden hier plötzlich emotional labil”, erläutert Manfred Birtner, seit 16 Jahren christlicher Beistand in Hameln. Allein an Heiligabend gibt es vier Gottesdienste hintereinander. „Die jungen Menschen suchen in der Kirche die Nestwärme, die ihnen in ihrem bisherigen Leben oftmals verwährt wurde”, sagt der zweite Seelsorger Karsten Brüggemann. „Die Häftlinge haben viele ihrer Mitmenschen enttäuscht, aber mit Gott wollen sie es sich nicht verscherzen.”

Kurz vor Heiligabend sieht man in der Jugendanstalt aber noch wenig von dem bevorstehenden Fest. Viele Gefangene blenden die Feiertage zunächst aus. Bis Weihnachten werden aber noch in einigen Wohngruppen Weihnachtsbäume aufgestellt. Nur im Gemeinschaftsraum der Abteilung, in der Straftäter untergebracht sind, die aufgrund ihrer geringen Selbstbehauptung Unterdrückungsopfer anderer Häftlinge werden könnten, hängen seit Tagen Lichterketten im Fenster und an den weißen Wänden, auf dem Tisch steht ein kleiner Kranz aus grünen Tannenzweigen.

Esrat, ein 22-Jähriger jesidischen Glaubens, faltet aus grüner Pappe einen Tannenbaum. Die Gruppenbetreuerin hatte einige Bastelarbeiten von zu Hause mitgebracht und es ihm gezeigt. Wenn er nun aus dem Fester mit den bunten Lichterketten in die Dunkelheit blickt, glaubt er für „ein kleinen Moment, draußen und nicht eingesperrt” zu sein.

Bislang hat er aufgrund seines Glaubens nie Weihnachten gefeiert aber er ist neugierig auf das christliche Fest und will auch zu dem Gottesdienst gehen. „Es gibt einige Inhaftierte, die das Fest im Gefängnis als das schönste ihres Lebens bezeichnen, weil in ihren Familien niemals ein festlicher Rahmen geschaffen wurde”, erläutert die Diplom-Psychologin Jesse, die seit sechseinhalb Jahren die Jugendanstalt leitet.

Jens hat seine Haftzeit fast hinter sich. Er wird im Januar entlassen und hat auch einen Job in Aussicht - Laminat verlegen. Nach sieben Jahren Weihnachten im Gefängnis sind auch seine Betreuer überzeugt, dass er sein vorrangiges Ziel schaffen wird. „Ich will alles versuchen, dass ich im kommenden Jahr endlich wieder draußen Weihnachten feiern kann.”