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Bonn: Warum nur noch Oma Rheinisches Platt kann: Dialektkiller Scham

Bonn : Warum nur noch Oma Rheinisches Platt kann: Dialektkiller Scham

Es sind Ausnahmen, wenn junge Leute im Rheinland heute noch Platt beherrschen. Bestenfalls verstehen Enkel bei Oma und Opa gerade noch den Sinn, wenn diese im althergebrachten Dialekt sprechen.

Was früher Muttersprache war, hört sich für jüngere Generationen heute wie eine Geheimsprache an. Eine Studie ging nun der Frage nach, warum im Rheinland - und das gilt auch für andere Regionen in Deutschland - nur noch wenig Dialekt gesprochen wird.

Das Ergebnis, zu dem der Bonner Sprachforscher Georg Cornelissen vom Rheinischen Landschaftsverband kam: „Sprachscham” war der Hauptgrund. „Dialektsprecher wurden lange Zeit ausgelacht und verspottet, deshalb mochte sich keiner so ausdrücken.”

Der Rheinische Dialekt wurde sozial schon vor gut einem Jahrhundert negativ bewertet, wie Cornelissen in seinem Buch: „Meine Oma spricht noch Platt - Wo bleibt der Dialekt im Rheinland?” nachzeichnet. Menschen, die Hochdeutsch konnten, erhoben sich über andere, die als „unfein, ordinär und plump” galten, weil sie nur im Dialekt zu Hause waren.

Der Niedergang des aus dem Mittelalter stammenden Rheinischen ist unaufhaltsam. Für Cornelissen ist der Dialekt zum „Gerontolekt” geworden, den nur noch Betagte sprechen - und auch das nicht mehr überall. „Dialekt sprechende Großmütter findet man heute am leichtesten in der Eifel, wohl auch noch in Köln.” Am weitesten vorangeschritten sei der Abbau des Dialekts im westlichen Ruhrgebiet und im Bergischen Land - etwa zwischen Oberhausen und Gummersbach.

Bereits im 19. Jahrhundert sei die Luft für den Dialekt in den Städten dünner geworden, sagt Cornelissen. Höhere Schulen, Theater und Bibliotheken propagierten Hochdeutsch. Mägde wollten den „gebildeten” Herrschaften nacheifern. In der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei „Sprachscham” prägend gewesen. „Menschen schämten sich wegen ihres Dialekts, der ihren sozialen Status verriet und wegen der Fehler in Hochdeutsch.”

Später in der Bundesrepublik wurden Kinder, die von zu Hause aus noch Dialekt sprachen, von ihren Lehrern oder auch Eltern aufgefordert: „Sprich anständig!” Schule und dialektfreies Fernsehen haben mit zum Durchmarsch des Hochdeutschen beigetragen. Daneben sind immer weniger Eltern wegen eigener Unkenntnis imstande, ihrem Nachwuchs Platt zu vermitteln.

Im Ruhrgebiet, wo der Schwund besonders prägnant ist, hatte die massive Zuwanderung aus dem Osten schon Ende des 19. Jahrhunderts dafür gesorgt, dass Verständigungsprobleme mit Regionaldialekten überwunden wurden. Sie kamen dem Hochdeutschen nahe. Ihre Wurzeln im Dialekt sind noch in Wörtern wie etwa „dat” und „wat” zu erkennen.

Wenn heute von Dialekt die Rede ist, wird fälschlich meist die regionale Umgangssprache wie etwa „Kölsch” oder „Bönnsch” gemeint. Diese „Regiolekte” hätten mit dem alten Dialekt aber wenig gemeinsam, erläutert Cornelissen. Dieses „Rheinische Deutsch” erschlösse sich auch Fremden, was bei echtem Dialekt nicht der Fall sei. „Das es ne Jeheimsprache”, hatte der in Köln geborene erste Bundeskanzler Konrad Adenauer mal bemerkt.

Eine Dialekt-Renaissance, die in den vergangenen Jahren vielfach beschworen worden ist, kann das Rad kaum zurückdrehen. Das gelte auch für die „kölsche Sproch”, sagt Cornelissen. Das sei ein Modetrend zu „Kölschkultur”, wie sie von Musikgruppen wie „Bläck Föös” oder „Höhner” befördert würden - „eine Mikrofonsprache, die vor allem zu hören ist, wenn die Mikrofone eingeschaltet sind”.

Der Verlust an Dialekt kann auch zu neuen Verständigungsproblemen führen - wie im deutsch-niederländischen Grenzraum. Die Dialekte in der Provinz Limburg etwa ähneln denen auf deutschem Nachbargebiet. In Venlo wie in Kleve wurde Kleverländisch gesprochen, in Kerkrade wie in Aachen Ripuarisch. „Bei der älteren Generation funktioniert der Austausch noch auf Platt, auch wenn immer mehr Begriffe fehlen”, erklärt Cornelissen. Den Jüngeren fehle der Dialekt. Folge: Beide Seiten sprechen miteinander Englisch.