Berlin : Trotz wachsender Zielgruppe kämpfen Seniorenläden ums Überleben
Berlin Sprechende Uhren, Blitzlicht-Klingeln und Lupen für den Fernseher: Seniorenläden bieten Artikel an, die den Alltag alter Menschen leichter machen sollen. Ihre Zielgruppe wächst rasant. Doch die Seniorenläden profitieren davon bisher kaum.
Denn nur wenige alte Menschen kaufen dort ein, wo die Produkte genau auf sie abgestimmt sind. Schuld daran ist zum Beispiel der Geschäftsname.
„Viele Ältere meiden den Begriff "Senior" wie der Teufel das Weihwasser”, sagt Ursula Lenz von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO). Sie hätten Hemmungen, solche Läden zu betreten, auch wenn sie die Produkte eigentlich gerne nutzen würden.
Die Erfahrung hat auch Elisabeth Tekathen vom Seniorenladen in Dinslaken bei Duisburg gemacht. „Die ersten zwei Jahre waren sehr schwer”, erinnert sie sich. Erst über Kinder und Enkel fand sie Zugang zu ihrer Kundschaft. Jetzt kommen Menschen sogar aus Berlin, um Aufsatzgriffe für Hausschlüssel und Greifhilfen zu kaufen. Gerade eröffnet sie ihren zweiten Laden. Tekathen wird oft gefragt, ob es sich lohne, ein Geschäft für Senioren zu betreiben. Dann spricht sie vom Spaß an der Sache und einem langen Atem. Die Antwort schreckt viele ab.
Michael Gems ist einer der Unternehmer, die sich dennoch an den Markt herantrauen. Und er hat ein neues Konzept. Sein Markt 50plus in Aachen bietet seit August nicht nur Artikel für Senioren an, sondern auch Dienstleistungen, Veranstaltungen und eine Lounge für Mitglieder. „Wenn ein Kunde hereinkommt, trinkt er erstmal eine Tasse Kaffee und erzählt”, sagt Gems. Dafür nehmen sich seine Mitarbeiter Zeit. Die kostet allerdings - 25 Euro für 90 Minuten Beratung. Für die Kunden sei die Gebühr regelmäßig ein Diskussionspunkt, sagt Gems.
Wirklich etabliert hat sich bisher in der Branche der Seniorenläden nur ein Unternehmer. Der Mediziner Darius Khoschlessan ist Gründer der Ladenkette Senio, die er in den vergangenen 16 Jahren mühevoll aufgebaut hat. Das erste Handy für Senioren - „Katharina das Große” - hat er mit kleinen deutschen Firmen selbst entwickelt. Unter dem Namen „Big Easy” wurde es inzwischen für den Export tauglich gemacht. „Nokia und Co. haben über meine Idee laut gelacht”, sagt er.
Die Wirtschaft tut sich schwer damit, sich auf die Zielgruppe Rentner einzustellen. „Mit jedem Jahrzehnt werden die Menschen für das Marketing unbekannter”, sagt Khoschlessan. Die Strategen machten sich über Wellness für 50-Jährige Gedanken, wüssten aber nicht, wie eine Frau um die 70 ihren Tag verbringt und wofür sie ihr Geld ausgibt.
„Die Industrie hat eine ganze Zeit lang den demografischen Wandel verschlafen”, sagt Volker Sieger, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für barrierefreie Gestaltung und Mobilität. „Das wirtschaftliche Potenzial wird vollkommen unterschätzt.” Jeder dritte Euro wird Schätzungen zufolge von Menschen über 60 ausgegeben. Die Haushalte der 75-Jährigen und Älteren sind die einzigen mit wachsenden Konsumausgaben.
Khoschlessan träumt davon, „die Tür zum Markt aufzustoßen und sich dumm und dämlich zu verdienen”, wie er sagt. Dann gäbe es Inkontinenz-Windeln und Urinflaschen in jedem Supermarkt - und die Alten würden endlich zu ihrem Alter stehen. „Das wird aber noch zehn bis 15 Jahre dauern”, schätzt er.