Peking : Stausee könnte Erdbeben von Sichuan ausgelöst haben
Peking Das verheerende Erdbeben mit mehr als 80.000 Toten in China ist möglicherweise durch einen großen Staudamm mitverursacht worden. „Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß”, sagt Fan Xiao, Chefingenieur des Untersuchungsteams des geologischen Amtes der Provinz Sichuan.
Die Wassermassen in dem riesigen Zipingpu-Reservoir, das eine Tiefe von mehr 100 Meter erreicht, hätten starken Druck auf die darunter liegenden Erdfalten ausgeübt. Auch sickere Wasser in Spalten. „Es weicht die Gesteinsschichten auf. Die Spannung wird abgeschwächt und die Falte ist schneller aktiv. So passiert ein Erdbeben schneller”, erklärt Fan Xiao in Peking.
Weltweit sind mehrere Erdbeben nachgewiesen, die durch Staudämme ausgelöst worden sind. Bei der Größe des Zipingpu-Reservoirs wird die Wahrscheinlichkeit auf 30 bis 40 Prozent geschätzt. Nicht unbedingt, wenn der Stausee voll ist. „Es passiert oft, wenn das Wasser schnell steigt oder sinkt”, erklärt Fan Xiao.
So hatte sich der Stausee am Min-Fluss schnell über zwei Jahre gefüllt, doch war der Wasserstand gerade vor dem 12. Mai 2008 stark gesunken. An jenem tragischen Tag ließ die nahe gelegenen Longmenshan-Verwerfung die Erde mit einer Stärke von 8 heftiger als je zuvor beben. Ganze Städte und Ortschaften wurden zerstört. Zehntausende Menschen wurden unter den Trümmern ihrer Häuser verschüttet. Bis ins 1500 Kilometer entfernte Peking waren die Erdstöße zu spüren.
Nach Ansicht des Forschers Christian Klose von der amerikanischen Columbia-Universität haben die Wassermassen den Stress für die Erdkruste erhöht - 25 mal stärker als die normalen tektonischen Verschiebungen. „Verschiedene geophysikalische Beobachtungen zeigen, dass das Erdbeben durch Spannungsänderungen von der Erdoberfläche kommend ausgelöst wurde”, fasst Klose seine Analyse zusammen, die bald in einem Wissenschaftsmagazin veröffentlich wird. „Die Spannungsänderungen wiederum sind durch Wassermassen im Min-Fluss-Tal induziert worden.” Die Erde bewegte sich in die Richtung, in die der Druck des Stausees sie gedrängt hatte.
Zwar deuten auch Analysen anderer chinesischer Geologen auf die Möglichkeit hin, dass der Staudamm ursächlich gewesen sein könnte, doch ist die These von der Menschenhand hinter der Naturkatastrophe schon wegen der politischen Verantwortlichkeiten in China riskant. Mit seiner Forderung, die Ursachen genauer zu untersuchen, steht Experte Fan Xiao so auch weitgehend allein da. Zeitungen, die über seine Erkenntnisse berichteten, wurden von der Zensur kritisiert. Die staatlich kontrollierten Medien zitieren dann vielmehr Fachleute, die ihm widersprachen.
Notwendige Daten zur Analyse der Wirkung des Staudamms würden bewusst zurückgehalten, kritisiert Fan Xiao. Er vermutet die mächtige Energiewirtschaft am Werk, die diesen und andere Dämme im seismisch aktiven Südwesten trotz aller Bedenken unbedingt bauen wollte. „Bei den Berechnungen wurde das Risiko niedriger eingestuft, absichtlich oder zufällig”, sagt Fan Xiao.
Obwohl die Erde dort schon mit einer Stärke von mehr als 6 gebebt habe, sei für den Staudamm die Gefahr eines Bebens mit einer maximalen Stärke von 5,5 angenommen worden, um die Genehmigung für den Bau zu bekommen. „Wir denken, dass diese Feststellung nicht wirklich objektiv, sondern aus eigenem Interesse getroffen wurde.”
Prompt zeigte der Zipingpu-Damm nach dem Beben auch gefährliche Risse. Vielleicht verhinderte allein der niedrige Wasserstand eine Überschwemmungskatastrophe für die 600.000 Einwohner in der flussabwärts gelegenen Stadt Dujiangyan.
Das Beben beschädigte nach amtlichen Angaben insgesamt 2830 meist kleinere Reservoirs in der Region. Allein in Sichuan drohten aber selbst nach offiziellem Eingeständnis, 69 Staudämme zu brechen. Da China weiter stark auf den Ausbau der Wasserkraft setzt, wären bessere Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Stauseen und Erdbeben dringend nötig, um laufende Projekte noch anzupassen und künftig vorsichtiger zu sein.