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Aachen: Reinhold Messner: Pioniere gibt es nur noch in der Wissenschaft

Aachen : Reinhold Messner: Pioniere gibt es nur noch in der Wissenschaft

Wahre Pioniere gebe es nur noch in der Wissenschaft, sagt einer, der selbst ein Pionier ist: Reinhold Messner wird 70 Jahre alt. Die großen Berge der Welt, die „Seven Summits“ hat er bestiegen und das ganz ohne neumoderne Technik.

Heute könne man mit ein paar Tastendrückern schnell Hilfe holen, sagt er im Interview mit unserer Zeitung. Früher sei das anders gewesen. Heute konzentriere er sich vor allem auf Neues: seine Museen und sein neues Buch.

Herr Messner, Sie werden 70 Jahre alt. Bis zu welchem Alter wollen Sie noch Berge besteigen?

Messner: Das plane ich nicht. Solange mich meine Beine tragen, werde ich auch noch auf Berge steigen. Mir ist natürlich klar, dass die Berge höher und die Wüsten weiter werden, aber ich habe kein Problem damit. Ich habe mich bereits mit dem Alter auseinandergesetzt, man wird natürlich schwächer, aber ich suche mir auch Aufgaben außerhalb des Bergsteigens.

Auf welchem Berg verbringen Sie Ihren Geburtstag?

Messner: Ganz privat. Auf einer Alm werden wir in einem Biwak schlafen, Familie und enge Freunde sind dabei. Der Berg ist nicht allzu hoch.

Wenn man „Reinhold“ bei Google eingibt, ist der erste Vorschlag „Messner“…

Messner: Tatsächlich? Dann bin ich wohl der berühmteste Reinhold (lacht). Ich benutze Google nicht und habe auch keinen Twitter- oder Facebook-Account. Ich weiß allerdings, dass es bei Facebook einige Reinhold Messners gibt… Ich komme gut ohne das Internet aus und lebe zurückgezogen.

Sie eröffnen bald Ihr sechstes Museum — fühlen Sie sich irgendwie monumental?

Messner: Eigentlich ist es nicht das sechste Museum. Es ist eins. Es gehört zu einem Mosaik mit einem Zentrum und anderen Teilen drumherum. Alle Teile erklären das Verhältnis von Mensch und Berg. So wie ich vor 36 Jahren beschlossen habe, den Everest zu besteigen, habe ich auch beschlossen, dass ich mein Erbe einbringen muss. Wenn ich mir das Mosaik der Museen anschaue denke ich, es ist mir gut gelungen.

Ihr neues Buch hat den doppeldeutigen Titel „Über Leben“ — was genau bedeutet das für Sie?

Messner: Es ist in drei Kapitel geteilt. Im ersten geht es um das Erleben, denn ohne Erleben kann ich nichts wissen. Im zweiten geht es um das Überleben, denn ohne Überleben kann ich mein Wissen nicht weitergeben und im letzten Teil geht es um das menschliche Leben, es ist also ein Kapitel über das Leben. Es geht um den Menschen in der Wildnis um Angst, Mut und Einsamkeit. All das habe ich erlebt und gebe es offen preis.

Sie waren der Erste, der allein auf den Mount Everest stieg. Denken Sie, solches Pioniertum gibt es heute noch oder stirbt es aus?

Messner: Es gibt noch Pioniere. Allerdings eher in der Wissenschaft. In der Eroberung der Erde ist es kaum noch möglich, ein Pionier zu sein. Heute kann man mit einer Satellitenkamera den Gipfel des Mount Everests erlebbar machen und genau dokumentieren. Man kann vom Gipfel mit dem Handy Hilfe rufen, wenn man sie braucht. Zwar kann man von dort oben nicht gerettet werden, dafür geht es heute auf einer Höhe von 8000 Metern. Man kann vor einer Tour Wetterdaten per Handy abrufen und sich danach richten, wenn man einen Berg besteigt. Die unerforschte Welt, wie ich sie damals erleben durfte wurde banalisiert, es gibt sie nicht mehr. Auf den Everest kann man inzwischen im Frühling auf einer riesigen präparierten Piste steigen. Das ist wie Straßenbau.

Klettern und Bouldern liegen im Trend — ist das gut oder schlecht für die Natur?

Messner: Bouldern ist meiner Meinung nach eine großartige Trendsportart. Früher hat das eigentlich jedes Kind gemacht, als es im Gebirge war, allerdings haben wir es damals noch nicht „bouldern“ genannt. Dieser Sport braucht Kreativität, Schnellkraft, Geschicklichkeit — ich finde das prima. Bouldern ist aber natürlich kein Alpinismus, genauso wenig wie das Klettern in der Halle — auch ein schöner Sport. Bouldern ist für mich ein wenig wie Kunstturnen. Nur ein kleiner Prozentsatz der Sportler, auch nur ein kleiner Prozentsatz der Kletterer, geht später wirklich in die Berge. Wenn sie das tun, machen viele allerdings eine explosive Karriere.