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Aachen/Leipzig: Mit Fakten gegen die Flut der Fake News: Hoaxmap.org

Aachen/Leipzig : Mit Fakten gegen die Flut der Fake News: Hoaxmap.org

Falsche Verdächtigungen und Gerüchte, oft über angebliche Verbrechen von Flüchtlingen oder Asylbewerbern, haben Hochkonjunktur. Krude Theorien und Behauptungen begleiten auch den Anschlag von Berlin, vornehmlich verbreitet über Online-Kanäle wie Facebook oder Twitter. Für viele ist das Auftauchen der vielen Falschnachrichten, sogenannter Fake News, ein recht junges Phänomen. Nicht für Karolin Schwarz. Die 30-Jährige Leipzigerin hält mit Fakten dagegen.

Seit Februar 2016 pflegt sie im Internet die sogenannte Hoaxmap, eine interaktive „Gerüchtelandkarte“, die laufend aktualisiert wird.

 Das ist die Hoaxmap: Der Klick auf einen Punkt in der interaktiven Karte führt zu dem betreffenden Ort und dem Gerücht, das mit ihm in Verbindung steht. Das traurige Angebot der erfundenen Fälle reicht von Raub über Vergewaltigung bis zum Mord. Montage: ZVA/Hans-Gerd Classen,
Das ist die Hoaxmap: Der Klick auf einen Punkt in der interaktiven Karte führt zu dem betreffenden Ort und dem Gerücht, das mit ihm in Verbindung steht. Das traurige Angebot der erfundenen Fälle reicht von Raub über Vergewaltigung bis zum Mord. Montage: ZVA/Hans-Gerd Classen, Foto: dpa

Unter hoaxmap.org sind mehr als 440 Beispiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gelistet. Ein Link führt zur Berichterstattung der regionalen Presse, die den Fall geprüft hat. Dort lassen sich die recherchierten Fakten nachlesen. „Die Hoaxmap ist aus dem Wunsch heraus entstanden, eine Ordnung in die Vielzahl gestreuter Gerüchte zu bringen“, sagt Schwarz. Sie und ihr Mitstreiter Lutz Helm wollten es nicht mehr hinnehmen, dass mit üblen Behauptungen Stimmung gemacht wird. Im Interview spricht die Expertin für Online-Medien über ihr Engagement, die Gefahren von Internet-Gerüchten und über Segen und Fluch des Internet als Plattform für Protest.

Wie ist die Idee zur Hoaxmap entstanden?

Schwarz: Es gab kein konkretes Gerücht, das Anlass für die Gründung der Hoaxmap gewesen wäre. Ich habe 2015 ehrenamtlich in einer Unterkunft für Geflüchtete in Leipzig gearbeitet. Schon damals gab es dort Gerüchte über vermeintliche Diebstähle in Supermärkten, die extrem überzogen wirkten. Vielmehr war es die Masse an Meldungen und auch deren Widerlegungen, die ab Sommer 2015 in Sozialen Medien kursierten, die uns dazu bewogen haben, diese Sammlung anzulegen.

Welches Ziel haben Sie für Ihr Engagement formuliert?

Schwarz: Wir hatten mehrere Ziele vor Augen. Zum einen wollten wir eine Datenbank schaffen, über die Menschen sich über Falschmeldungen im Allgemeinen, in ihrer Region oder zu bestimmten Themen informieren können. Außerdem wollten wir die Daten betrachten. Wie entwickeln sich die Meldungen? Gibt es regionale Schwerpunkte oder inhaltliche Zusammenhänge? Uns war auch wichtig, eine Debatte über Informationskompetenz anzustoßen.

Ihre Arbeit ist politisches Engagement auf einer noch recht neuen, weil digitalen Ebene. Wie sah Ihr Weg bis dahin aus?

Schwarz: Ich bin politisch interessiert, seit ich denken kann. Beruflich und privat arbeite ich viel mit digitalen Medien. Die Teilnahme am Kongress des Chaos Computer Clubs ist seit Jahren mein Weihnachtsurlaub. Dort sprechen jedes Jahr Engagierte und Kreative über unterschiedlichste Themen. Für mich war es naheliegend, meine Interessen auch auf digitalem Wege zum Ausdruck zu bringen.

Kann man es bei der Hoaxmap so ausdrücken: Protest bewegt sich von der Straße ins Internet?

Schwarz: Ich würde jedenfalls bei der Hoaxmap nicht von klassischem Protest sprechen. Wir haben unsere Vorbilder in datenjournalistischen Projekten und verstehen uns auch als solches. Generell bin ich der Meinung, dass Protest sowohl online als auch offline stattfinden sollte. Protest im Internet ist niedrigschwelliger und dadurch viel mehr Menschen zugänglich. Was viele oft abfällig als Clicktivism, also Klick-Aktivismus bezeichnen, schafft im Grunde die Möglichkeit für sehr viele Menschen, denen die Teilnahme an Demonstrationen vorher nicht ohne weiteres möglich war.

Niedrigschwellig — das trifft auch auf die Verbreitung von Falschmeldungen via Internet zu. Wie erfahren Sie von Fake News und den Widerlegungen?

Schwarz: Seit Veröffentlichung der Website bekommen wir zahlreiche Hinweise per Twitter und E-Mail. Die ersten knapp 180 Widerlegungen haben wir per Internet-Suche selbst gefunden. In einigen Fällen haben wir inzwischen auch selbst recherchiert. Das ist etwas, das wir gern öfter machen würden, wofür neben einem Vollzeitjob aber zu selten Zeit ist.

Falschmeldungen mit Fakten und Beweisen zu widerlegen: Sehen Sie dieses eigentlich selbstverständliche Prinzip mit Blick auf Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit mittlerweile in Gefahr?

Schwarz: Nachrichten waren ja schon immer umstritten. Was wir jetzt erleben, ist eine völlige Abkapselung eines Teils der Öffentlichkeit von den bisher bestehenden journalistischen Angeboten. Eine nennenswerte Anzahl von Menschen bezieht ihre Nachrichten inzwischen von obskuren News-Portalen oder zum Beispiel von den Facebook-Seiten rechtsradikaler Parteien, Gruppen und Einzelpersonen.

Wie verteilen sich die Fälle auf der Deutschlandkarte? Gibt es Ballungsräume?

Schwarz: Mit Aussagen über die lokale Verteilung der Einträge muss man ein bisschen vorsichtig sein. Wir erfahren ja nicht von allen Falschmeldungen, sondern zunächst nur von recherchierten Widerlegungen. Es fällt aber zum Beispiel ins Auge, dass es im Umkreis von München eine Ballung von Gerüchten über angebliche Sozialleistungen für Geflüchtete gibt. Unter den Städten ist derzeit Dresden ganz vorn, gefolgt von Erfurt. Wir vermuten hier schon einen Zusammenhang zu den großen rassistischen Demonstrationen, die es in beiden Städten ja regelmäßig gegeben hat.

Welche — vermeintlichen — Taten tauchen in der Liste der Falschmeldungen auf?

Schwarz: Sehr viele der Einträge auf unserer Karte thematisieren angebliche Eigentumsdelikte, Körperverletzungen und Vergewaltigungen. Falschmeldungen und Gerüchte drehen sich aber nicht nur um angebliche Straftaten. Sehr häufig wird auch unterstellt, dass Asylsuchende Leistungen und Geschenke erhalten, die ihnen nicht zustehen. Verbreitet sind auch die Gerüchte, wonach Geflüchtete Smartphones geschenkt oder Bordellbesuche bezahlt bekämen.

Gibt es Muster für die Verbreitung von Falschmeldungen?

Schwarz: Unwahrheiten können auf sehr verschiedene Arten verbreitet werden. Oft handelt es sich um harmlose Ereignisse, die Ausschmückungen und ein völlig neues Geschehen erfahren. Manchmal werden auch ganz gezielt Dinge erfunden und sogar Fälschungen in Umlauf gebracht. Es kommt aber auch vor, dass Falschmeldungen ungewollt von Polizei und Medien verbreitet werden, wenn etwa in Zeitungen Zeugenaufrufe der Polizei verbreitet werden, die letztlich auf falsche Zeugenaussagen oder Falschanzeigen zurückgehen.

Erkennen Sie mittlerweile auf den ersten Blick, wo die Urheber und Verbreiter solcher Nachrichten politisch daheim sind?

Schwarz: Eine eindeutige Zuordnung zu Parteien oder Organisationen lässt sich oft nicht machen. Wir beobachten aber, dass auf den Facebook-Seiten von Parteien wie der NPD, der AfD oder von Bewegungen wie Pegida oft Meldungen ohne Prüfung weitergegeben werden. Einige Gerüchte finden sich sogar in parlamentarischen Anfragen von NPD und AfD wieder. Aber prinzipiell ist niemand davor gefeit, Falschmeldungen aufzusitzen und diese zu verbreiten.

Beobachten Sie bei den Verbreitern ein Verhalten à la „Das haben wir gar nicht so gemeint“, wie man es auch der AfD zuschreibt?

Schwarz: Bei denen, die Falschmeldungen verbreiten und sich von den Widerlegungen umstimmen lassen, beobachten wir oft, dass die Richtigstellungen entweder völlig ignoriert werden oder aber als unwesentlich betrachtet werden. Nach dem Motto: Es ist zwar falsch, könnte aber richtig sein.

Welche Reaktionen haben Sie ansonsten erlebt, von Seiten der Urheber als auch der Betroffenen von falschen Nachrichten?

Schwarz: Wir erhalten viele Dankesmails von Menschen, die unsere Website in Diskussionen oder in der medienpädagogischen Arbeit nutzen. Natürlich gibt es auch Unmut und Hass. Viele Falschmeldungen werden schließlich mutwillig ins Netz gestreut, dass die Urheber dann nicht froh über unsere Initiative sind, war uns aber bewusst.

Welche Nachricht hat Ihnen förmlich die Schuhe ausgezogen?

Schwarz: Extreme Meldungen gibt es leider viele. Dazu gehört jede Falschmeldung über eine Gewalttat, oder konkret: sexualisierte Gewalt. Es gibt aber auch absurde Meldungen. Etwa, dass einer Frau, die sich aus religiösen Gründen die Haare verlängern und flechten ließ, die Rechnung von 700 Euro vom Landratsamt bezahlt wurde. Neulich fragte die sächsische AfD im Landtag nach einer Vergewaltigung im Maxim-Gorki-Park. Die Landesregierung konnte darauf nur antworten, dass in ganz Sachsen kein Maxim-Gorki-Park bekannt sei.

Wie erklären Sie persönlich sich den Ursprung der Methode, durch Falschmeldungen Tendenzen und Stimmungen zu beeinflussen?

Schwarz: Viele der Falschmeldungen sind gut geeignet, Menschen zu emotionalisieren. Es wird zum Beispiel der Effekt erzielt, dass Menschen sich ungerecht behandelt und zu kurz gekommen fühlen, oder dass sie sich in ihrem Umfeld nicht mehr sicher fühlen. Auf diesem Wege werden sie für Ressentiments empfänglicher.

Nach knapp einem Jahr Hoaxmap ist womöglich Zeit für eine Zwischenbilanz. Haben Sie ihr ursprüngliches Ziel noch im Visier? Wie geht es weiter?

Schwarz: Uns gibt es, solange es diese Falschmeldungen gibt. Und die gibt es nach wie vor reichlich. Sie werden in Facebook-Gruppen oder über private Profile oder Facebook-Seiten von Anti-Asyl-Seiten geteilt. Im Wahljahr 2017 wird die Asylpolitik eine große Rolle spielen — auch hier ist damit zu rechnen, dass reichlich Falschmeldungen gestreut werden.