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Güstrow: Missstände bei Auslandsbetreuung von straffälligen Jugendlichen

Güstrow : Missstände bei Auslandsbetreuung von straffälligen Jugendlichen

„Hier wohne ich, es geht mir nicht gut.” Die Kamera wackelt, als der 17-jährige Jugendliche eine Hütte, sein zu Hause in Portugal zeigt. „Arbeit über Arbeit, da drehe ich durch”, schildert ein 15-Jähriger sein Leben auf einem Hof in Kirgisien.

Drei Meter weiter picken Hühner im Kot von Menschen und Tieren. Zwei Szenen aus der bundesweit ersten empirischen Studie über „intensivpädagogische Auslandsmaßnahmen”, die von Wissenschaftlern der privaten Hochschule Baltic College in Güstrow und der Uni Lüneburg erarbeitet wurde.

Es klingt so schön in den Jugendhilfe-Prospekten: Kriminelle Jugendliche, aber auch nicht therapierbare Schulverweigerer verbringen einige Wochen im Ausland bei Pflegefamilien und werden dort von erfahrenen Pädagogen betreut. Manches Gericht sieht darin eine Alternative zu einer Haftstrafe.

In Einzelbetreuung sollen die Jugendlichen geregelte Tagesabläufe entwickeln, neues Sozialverhalten üben und resozialisiert als Mitglieder der Gesellschaft zurückkehren.

Die Realität sieht oft anders aus. Die seit 2006 laufende repräsentative Studie in 13 Ländern hat erschütternde Missstände aufgedeckt. Die Jugendlichen sind im Ausland viel unzufriedener mit ihrem Leben als ihre Altersgenossen, die Gewaltbereitschaft, oft der Grund für den Aufenthalt im Ausland, bleibt auf hohem Niveau.

Die Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums und der Stiftung Deutsche Jugendmarke soll Ende 2008 veröffentlicht werden, doch die Ergebnisse reichen, die gesamte Praxis infrage zu stellen. „Keiner weiß richtig, was da draußen passiert. Es wird nicht kontrolliert, die Macht deutscher Ämter hört an der Grenze auf”, sagt Studieninitiator und -betreuer Torsten Fischer.

Videoclips dokumentieren das Leben von 80 Jugendlichen in Polen, Spanien oder Namibia. Die Clips wurden bei Besuchen der Güstrower Pädagogen Stefan Pforte und Holger Wendelin gedreht. „Ich habe Rückenschmerzen”, klagt ein 17-Jähriger auf einem heruntergekommenen Hof in Polen, wo er zehn Tonnen Maismehl abladen muss. „Man mag sich gar nicht vorstellen, was mit diesem Jungen in den letzten Monaten passiert ist”, sagt Fischer.

Oft kann von Einzelbetreuung keine Rede sein, es ist dokumentiert, dass Jugendliche zu viert in einem Raum schlafen und tagsüber den Kuhstall ausmisten. Bezahlt wird aber pro Fall - „eine Gelddruckmaschine”, sagt Fischer, denn die Betreuungskosten auf einem namibischen Bauernhof gehen gegen null. Ein Widerspruch zwischen dem Anspruch nach Einzelbetreuung und Wirklichkeit.

„Da läuft es einem kalt den Rücken herunter”, sagt der Pädagoge Jörg Ziegenspeck von der Universität Lüneburg. Man müsse sich fragen, ob diese Praxis sinnvoll ist. Bei diesen Kindern brauche es ein sorgfältiges Konzept, intensive Vorgespräche und 100-prozentige Freiwilligkeit.

Dinge, die laut Studie oft nicht gewährleistet sind. „Allerdings gibt ein Auslandsaufenthalt auch die Chance, eine neue Lebensspur zu finden”, gibt Ziegenspeck zu bedenken.

Ein weiteres Manko sind laut Studie die Betreuer. „In diesen Maßnahmen braucht man Leute mit hoher sozialer und pädagogischer Kompetenz - mit ganz feinen Antennen für die Jugendlichen”, sagt Pforte. Diese Erwartungen werden oft enttäuscht. Laut Studie haben mehr als die Hälfte der Betreuer keine entsprechende Ausbildung.

„Ich vermute, viele Träger wissen gar nicht, was mit den Jugendlichen draußen passiert”, sagt Fischer. Sie haben vermutlich keine Ahnung davon, dass sich ein 16 Jahre alter Junge in Kirgisien mit seiner Bezugsfamilie nicht unterhalten kann, weil keiner die Sprache des anderen spricht. „Das ist wie weggeschlossen”, sagt Pforte.