Berlin : Migration, Anglizismen, Internet: Wo bleibt die Nationalkultur?
Berlin Es bleibt noch abzuwarten, ob die Fanmeilen bei der Fussball-EM in diesem Sommer ähnlich schwarz-rot-gold gefärbt sein werden wie bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Tatsache ist aber, dass spätestens seit diesem „Sommertraum” vor zwei Jahren in Deutschland ein Bedürfnis gewachsen ist, „sich über wirtschaftliche und politische Aspekte hinaus mit dem eigenen Land zu identifizieren”.
So formuliert es der Generalsekretär des Goethe-Instituts, Hans-Georg Knopp. EU-Erweiterung also contra neue nationale Identitätssuche? Gerade im östlichen Europa ist das Verlangen nach kultureller wie politischer Selbstbehauptung gegenüber der EU groß.
Und in Deutschland, wo es einmal den Irrglauben an eine „sozialistische deutsche Nationalkultur” gab? Wo heute auch die Kultur immer mehr von „Mitbürgern mit Migrationshintergrund” mitbestimmt wird, Anglizismen um sich greifen und das Internet eine neue weltweite Jugendkultur evoziert? Warum gibt es so viele Hitparaden über „Unsere Besten” und Volksmusiksendungen im Fernsehen und was ist eigentlich der „deutsche Klang” im Konzertsaal?
Darf man hierzulande heute auch wieder von einer Nationalkultur sprechen, unbeschadet geschichtlicher Verirrungen und ungeachtet der heutigen föderalen Struktur der Bundesrepublik? So darf sich ja der „Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien”, Bernd Neumann (CDU), keinesfalls Bundeskulturminister nennen, da sind die Bundesländer und ihre „Kulturhoheit” davor. Die Debatte um ein „Staatsziel Kultur” im Grundgesetz spricht Bände ebenso wie der Streit um eine „deutsche Leitkultur”.
Dessen ungeachtet wollen der neue Goethe-Präsident Klaus-Dieter Lehmann und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) jetzt Flagge zeigen und über den „Tellerrand” hinausblicken - sie veranstalten in dieser Woche auf der Berliner Museumsinsel ein internationales Symposium zum Thema Nationalkultur.
„Wiedervorlage: Nationalkultur” ist das Motto der mehrtägigen Veranstaltung, die am Donnerstagabend im Bode-Museum eröffnet wird und bei der Diskussionen und Referate bis zum Samstag auf der Tagesordnung stehen. Dabei steht keineswegs nur der deutsche Aspekt im Vordergrund, auch wenn sich Steinmeier als Motto seiner Eröffnungsrede ein bissiges Tucholsky-Zitat ausgesucht hat: „Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen.”
Für Goethe-Generalsekretär Knopp haben sich die nach dem Krieg über Jahrzehnte in Deutschland gehegten Erwartungen, das historisch diskreditierte nationale Bewusstsein werde sich über kurz oder lang in der europäischen Integration auflösen, nicht erfüllt. Der 11. September oder der Karikaturenstreit verstärkten sogar kulturelle Abgrenzungssehnsüchte.
Wie sieht es in anderen Ländern aus? Gibt es beispielsweise einen europäischen Film, der sich noch immer gegen das übermächtige Hollywood stemmt? Und was ist überhaupt ein europäischer Film - doch nur „Europudding”, wie die Skeptiker sagen und sind die nationalen Eigenheiten des Films doch das Entscheidende?
Kommen wieder Dichter wie der Hamburger Gorch Fock (1880-1916) zu Ehren mit ihren Wahlsprüchen wie „Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen?” Der nunmehr 80-jährige Schauspieler und Weltenbummler Hardy Krüger brachte es dieser Tage für sich auf den Punkt: „Zuhause bin ich, wo ich Freunde habe. Meine Heimat aber ist Berlin und hier will ich auch begraben sein.”