Unicef-Spendenaktion : Lockdown, Regen und Stürme
Lesbos/Aachen Die Lage der Geflohenen auf Lesbos spitzt sich immer weiter zu. Mithilfe von Geldern, die Leserinnen und Leser von AZ und AN im Rahmen der Unicef-Aktion „Nie mehr Moria! “gespendet haben, sollen die Hygienebedingungen im Lager Kara Tepe verbessert werden.
Die Temperaturen in den Nächten auf den griechischen Inseln liegen in diesen Tagen zumeist um den Gefrierpunkt. 17.000 Flüchtlinge, darunter knapp die Hälfte Kinder, müssen zudem Stürmen und Regenfällen trotzen. Allein auf Lesbos durchleben rund 7500 Menschen den Winter direkt am Ufer der Ägäis. Der Geröllboden von „Kara Tepe“, dem Nachfolge-Lager des Schreckens-Camp Moria, versinkt in Matsch und riesigen Pfützen. Zelte werden überflutet und notfalls auf Paletten gehoben.
620.000 Euro spendeten unsere Leserinnen und Leser bislang für die Unicef-Aktion „Nie mehr Moria! Helft den Kindern jetzt!“ des Medienhauses Aachen. Jeder Euro auf das Unicef-Spendenkonto wird mehr denn je gebraucht. „Denn Witterung und Corona-Lockdown verschärfen die Situation extrem“, sagt Judith Wunderlich-Antoniou, Chefin des Unicef-Lerncenters Elix, das unter diesen Umständen längst nicht alle der mehr als 3000 Kinder im Lager erreicht. „Es ist einfach zu kalt. Jetzt ist die Rede davon, dass die griechische Regierung Busse als Klassenzimmer oder Spielzentren einsetzen will“, sagt sie.
Sanitäre Bedingungen verbessern
Deutschlands Unicef-Geschäftsführer Christian Schneider spricht vom gezielten Einsatz, „damit die Kinder in dieser schwierigen Situation kein weiteres Leid erfahren und Schutz und Hilfe finden“. Nach desaströsen Hygiene-Bedingungen in den vergangenen Wochen und Monaten übernimmt Unicef die Verantwortung für den Aufbau der Wasserversorgung und Sanitäranlagen. Nach wie vor gibt es viel zu wenige Duschen und Toiletten.
Die Evangelische Kirche forderte in diesen Tagen abermals, neben den bosnischen Flüchtlingen in Lipa auch die auf den griechischen Inseln gestrandeten Menschen aufzunehmen, 200 deutsche Gemeinden sind dazu bereit. Bei den neuesten Kontingentvereinbarungen waren die Bundesländer zur Aufnahme von 4253 Menschen von den griechischen Inseln bereit – am Ende wurden aber nur 1703 aufgenommen. Mehr lehnte Bundesinnenminister Horst Seehofer mit Verweis auf die fehlende Beteiligung anderer europäischer Länder ab.
Die Coronavirus-Pandemie, so warnt die Synode der Kirche, verschärfe „nicht nur die Situation der geflohenen Menschen, sondern auch die normalen Abschottungstendenzen Europas“. Dabei müssten vor allem die Kinder und Jugendlichen geschützt werden. Anhaltende Pushbacks, das Zurückdrängen von Flüchtlingsbooten, seien völkerrechtswidrig und müssten „sofort eingestellt werden“.
Die Eile des Aufbaus der Zeltstadt Kara Tepe nach dem Brand in Moria am 8. September 2020 brach bei der Bildung weiterer Strukturen offenbar zusammen. Fakt ist: Die Entwurzelten von Kara Tepe, zumeist Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Irak, leiden verstärkt unter unzureichender Versorgung, Aussichtslosigkeit und Krankheiten.
Die Folgen unter den Betroffenen sind vielfach Krätze und Läuse, offene Wunden und Abszesse, Durchfall- und Atemwegserkrankungen. Hinzu kommt: „Nachts ist es im Camp sehr dunkel, die Frauen trauen sich nicht aus den Zelten, um zur Toilette zu gehen“, so Unicef-Mitarbeiterin Claudia Berger. Zudem wirkt unter den Bewohnern weiterhin der Schock nach, dass jüngst ein dreijähriges Mädchen in einer Latrine vergewaltigt wurde.
„Vorzeigelager“ geplant
Als wäre die Lage nicht unerträglich genug, sind die Menschen von Kara Tepe auch Gefangene des Lockdowns. Pro Tag dürfen nur 900 Personen für drei Stunden das Lager verlassen – umgerechnet also pro Kopf einmal in der Woche. Der Weg der kargen Freiheit führt zumeist in einen nahegelegenen Discounter, wo die Menschen einen großen Teil ihrer monatlichen Pro-Kopf-Unterstützung von 75 Euro ausgeben, die sie vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR erhalten.
Derweil bekräftigen die griechischen Behörden ihre Absicht, bis September 2021 auf neuem Gelände ein „Vorzeigelager“ auf Lesbos zu installieren und Kara Tepe aufzulösen. Dem Vernehmen nach wurde ein neues Territorium gefunden. Die Entscheidung liegt unter Verschluss, die Stimmung unter den Inselbewohnern ist explosiv. Entstehen soll ein Camp mit Bereichen für Neuankömmlinge, zum Wohnen, für medizinische Versorgung sowie Freizeitbereiche. In Fertighäusern sollen Bildungsangebote stattfinden.