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Krefeld: Lobbyist der Gescheiterten: Joachim Niering hilft insolventen Chefs

Krefeld : Lobbyist der Gescheiterten: Joachim Niering hilft insolventen Chefs

Firma bankrott, Geld weg, Auto weg, Haus weg: Wenigstens jobbte der Sohn gerade in Australien, so dass Joachim Niering sich in dessen Krefelder Junggesellenbude einquartieren konnte. Dass der Kleiderschrank mit Surferposter zu klein ist für seine Anzüge und Krawatten, damit hat sich der Mann Anfang 50 arrangiert.

Genauso mit der hellblauen Wandfarbe und dem störrischen Opel Corsa seines Sohnes, auch wenn der „etwas holpriger” fahre als seine frühere BMW-Limousine. Geradeheraus, gestenreich und gewitzt erzählt der frühere Inhaber einer Franchisekette für Porzellanreparatur die Geschichte seines Scheiterns.

Die tiefe Sorgenfalte zwischen den strahlend graublauen Augen lässt aber ahnen, dass der launige Rheinländer nicht immer so unverkrampft mit seiner Geschäfts- und Privatinsolvenz umgehen konnte. Gelernt habe er das erst bei den „Anonymen Insolvenzlern” in Köln, verrät er.

Inzwischen moderiert Niering in Düsseldorf selbst eine solche Selbsthilfegruppe für gescheiterte Unternehmer, wenn er nicht anderweitig im Namen des Bundesverbands Insolvenz- und Schuldnerservice unterwegs ist. Als Lobbyist der Gescheiterten macht er sich für mehr öffentliche Schuldnerberatungen, effektivere Insolvenzverfahren und ein besseres Ansehen stark. „Es ist schlimm, dass Insolvenz in Deutschland als persönliches Versagen gilt - und nicht als persönliche Erfahrung wie in den USA”, kritisiert Niering.

Das Interesse an den „Anonymen Insolvenzlern” sei sehr groß und werde wohl auch weiter wachsen, prognostiziert Niering. Bundesweit gebe es schon mehr als ein Dutzend solcher Gesprächskreise. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts stützen seine Aussage: 32 687 Firmenpleiten allein im Jahr 2009, Tendenz steigend. „Im bürokratischen Ablauf des Insolvenzverfahrens gehen aber die persönlichen Schicksale meist unter”, gibt Niering zu bedenken.

Im Stuhlkreis der Anonymen Insolvenzlern finden Menschen wie Niering einen Platz, den sie im Leben offenbar verloren haben. Sie sprechen hier über das, worüber sie sonst aus Scham schweigen: über ihren beruflichen, finanziellen und sozialen Absturz, den Verlust von Partnern und Freunden, seelische Krisen und gesundheitliche Beschwerden. Man duzt sich, der Nachnamen interessiert hier niemanden.

Die privatinsolvente Frau, die in ihrem Job als Prokuristin eigentlich überhaupt keine Haftung mehr unterschreiben dürfte, sitze hier neben dem einst schillernden Firmenboss, erzählt Niering. „Uns eint, dass wir alle ein leeres Portemonnaie haben.” Die Pleite habe sein Leben komplett verändert, fasst er zusammen. Gemerkt habe er das nicht nur beim instinktiven Griff nach der längst nicht mehr vorhandenen Kreditkarte. „Auf den wirtschaftlichen folgt nicht selten der familiäre und psychische und gesundheitlich Zusammenbruch”, erzählt Niering aus eigener Erfahrung. Noch heute plagten ihn die Bandscheiben.

Die Selbsthilfegruppe habe ihm geholfen, sich wieder aufzurappeln, sagt Niering. Allerdings könne sie weder eine Insolvenzberatung, noch einen Therapeuten ersetzen. Und auf gar keinen Fall sei die Zusammenkunft eine Ideenbörse für Insolvenztrickser, betont er. „Mir persönlich gab die Gruppe Kraft für neue Projekte”, erzählt er. Heute gebe er als Unternehmens- und Schuldnerberater seine Erfahrungen aus der Insolvenz, die er selbst erst in fünf Jahren durchstanden haben wird, weiter. Außerdem plane er ein Buch mit Witzen, die sich nur um ein Thema drehen: Insolvenz.