Hamburg/München : Kochen ohne Rezept: Crossover-Küche lässt viel Raum für Kreativität
Hamburg/München Wenn Thomas Krause die Zutaten Cola, Terriyaki-Soße, Chili, Ingwer und Orangenscheiben in eine Pfanne gibt, müssen einige zweimal hinsehen. Dass daraus eine würzige Grillmarinade werden kann, hätten die Teilnehmer seines Kochkurses wohl nicht vermutet.
Der Küchenchef weiß allerdings genau, was er tut: Er zaubert aus ungewöhnlichen Kombinationen neue Gerichte - „Crossover-Küche” nennen Experten diesen Stil. Richtige Rezepte gibt es dabei im Gegensatz zu früheren Kochstilen kaum noch. Erlaubt ist, was gefällt: Hauptsache kreativ - und Hauptsache es schmeckt.
„Die Idee der Crossover-Küche lässt die Grenzen zwischen landestypischen Kochstilen aus allen Teilen der Welt verschwimmen”, sagt Eckart Witzigmann, Sternekoch aus München. Die Kunst des Crossover-Stils liege darin, Küche und Kultur einzelner Länder zu verstehen, typische Elemente daraus zu erkennen und sie anschließend neu zu kombinieren. Jeder könne das ausprobieren, sagt Witzigmann. Gefallen finden viele an der neuen Kreativität beim Kochen. „Eine Art Freistil” nennt es der Koch-Profi.
Festgelegte Spielregeln gibt es bei der Crossover-Küche, die auch unter dem Namen „cross kitchen” oder „fusion food” bekannt ist, nicht. „Man darf die Zutaten wild zusammenmischen. Dem Koch bleibt freie Hand”, sagt Krause, der die Kochschule Hamburg leitet. Hobby-Gourmets könnten so vieles ausprobieren. Der Mut, beim Kochen etwas Neues oder Ungewöhnliches auszuprobieren, bringe ein neues Selbstbewusstsein in der Küche und fördere die Lust am Kochen.
Grundsätzlich sind der Kreativität zwar keine Grenzen gesetzt. Übertreiben dürfe man es aber auch nicht: „Crossover lebt von der Spannung zwischen den einzelnen Aromen und der Harmonie des Geschmacks”, sagt Witzigmann. Ein bisschen Fingerspitzengefühl erfordere das bei der Auswahl der richtigen Zutaten schon. „Keine Experimente um jeden Preis” sei daher die Maxime beim Ausprobieren der kulinarischen Vielfalt.
Lakritzsoße mit Seeteufel etwa sei nicht unbedingt zu empfehlen, warnt Krause. Das herbe Lakritzaroma übertünche den feinen Geschmack des Seeteufels. „Ansonsten können Köche ihren Ideen aber freien Lauf lassen.” Er selbst lasse sich viel von Bildern inspirieren, holt sich auf diese Weise kreative Einfälle für seine Küche. Viele Ideen kämen aber auch beim Kochen selbst - so zum Beispiel in der Grünkohlzeit.
„Da hatte ich noch ein paar Kohlwürste übrig”, sagt er. Die habe er klein geschnitten, in der Pfanne angebraten und anschließend Erdnüsse, Chili sowie Sojasprossen kalt dazu gegeben und mit Sojasoße abgeschmeckt. Anschließend habe er diese Mischung in Frühlingsrollenteig eingewickelt, kurz im Ofen gebacken und mit frischem grünen Salat serviert. Heraus kam ein leckerer Crossover-Mix aus traditioneller deutscher und würziger asiatischer Küche.
„Wirkliche Rezepte gibt es bei der cross-kitchen eigentlich nicht mehr”, sagt René Pohland, Inhaber des Restaurant „Crossover” in Nürnberg und Betreiber der Seite www.cross-over-kochen.de. Viele Köche verließen sich zwar noch auf Grundprinzipien der klassischen Küche, etwa verwenden sie Eiweiß zum Binden von Teigmasse. Die meisten anderen Schritte in der Zubereitung eines Gerichts seien aber flexibel. Wichtig sei es jedoch, Gegensätzlichkeiten im Geschmack zu schaffen. „Das macht etwa bei Soßen die besondere Note aus”, sagt Pohland. Eine Rotweinsoße - vom Grundprinzip her sauer - lasse sich durch den Gegensatz von dunkler Himbeermarmelade gut ergänzen.
Noch wichtiger ist allerdings das Würzen: „Die Auswahl der passenden Gewürze ist eines der Geheimrezepte der Crossover-Küche”, sagt Konrad Geiger, Bio-Spitzenkoch aus München. Sie verfeinern nicht nur die Gerichte, sondern bestimmen auch deren kulinarischen Einschlag. Ein gewöhnlicher Gulasch bekomme durch das Hinzufügen von Kardamom und Kreuzkümmel eine orientalische Richtung, so Geiger. Viele herkömmliche Gerichte aus der bürgerlichen Küche lassen sich auf diese Weise durch den richtigen Gewürzmix aufwerten. Selbst rote Beete kann durch gerösteten Sesam und frischen Koriander einen asiatischen Touch bekommen.
„Besonders Vegetarier können von der Trendküche des Crossover-Stils profitieren”, sagt Geiger. Denn grundsätzlich sei es für Köche einfacher, Gemüse eine andere geschmackliche Linie zu geben als Fleisch. „Tomaten bekommen durch das Beimischen von Chili eine mexikanische Geschmacksrichtung. Ein Lammkotelett hingegen bleibt jedoch in erster Linie ein Lammkotelett”, erklärt der Koch. Die vegetarischen Variationen ließen sich vor allem mit dem jeweiligen saisonalen Gemüse zu spannenden Gerichten zubereiten.
Gute Qualität habe aber auch hier ihren Preis, sagt Eckart Witzigmann. Deshalb ist Tiefkühlkost für ihn bei der Crossover-Küche tabu. „Am besten verwenden Hobbyköche frische Produkte vom Markt oder Hausgemachtes”, rät Geiger - gern auch vom arabischen oder asiatischen Händler um die Ecke. Schließlich sei dort der Ursprung der Crossover-Küche zu finden, das sogenannte „ethnic food”, das den Köchen die entsprechenden Inspirationen gab.