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Leinfelden: Ganzkörpertransplantation gegen Kopfverpflanzung

Leinfelden : Ganzkörpertransplantation gegen Kopfverpflanzung

Robert J. Whites Ruf ist nicht der beste. Meist wird er „Dr. Frankenstein” genannt, manchmal auch einfach „Spinner”. Denn White, in die Jahre gekommener amerikanischer Neurochirurg, hat eine Vision: Er will den Kopf eines Menschen mit dem Körper eines anderen verbinden.

Bei Affen ist ihm diese Operation nach eigenen Angaben bereits in den siebziger Jahren gelungen, seitdem versucht er, die Prozedur auf den Menschen zu übertragen und sucht - vor allem durch Auftritte in den Medien - nach Freiwilligen und Geldern.

Auch wenn viele Whites fachliche und ethische Kompetenz anzweifeln, einen solchen Eingriff in letzter Konsequenz durchdenken und durchführen zu können, eines kann ihm niemand absprechen: Seine Idee hat die bis heute nicht geklärte Frage aufgeworfen, was die Identität des Menschen ausmacht. Der Chirurg selbst stellt sich diese Frage allerdings nicht. Er ist fest davon überzeugt, dass es ausschließlich das Gehirn ist, das die Persönlichkeit bestimmt. Folgerichtig bezeichnet er seine Operation auch niemals als „Kopftransplantation”, sondern als „Ganzkörperspende”. Sie sei, so sagt er, nichts anderes als eine logische Weiterentwicklung der aktuellen Transplantationspraxis, bei der nicht nur mehrere Organe gleichzeitig, sondern sogar Körperteile wie Hände, Arme und selbst Gesichter verpflanzt würden.

Diese Fixierung auf das Gehirn kann Silke Schicktanz, Medizinethikerin an der Universität Göttingen, nicht verstehen, wie sie im Magazin „bild der wissenschaft” erklärt: „Es ist doch der Körper, an dem andere uns wiedererkennen. Natürlich spielt das Gehirn bei allem eine Rolle, aber der Körper wird unterschätzt.” Damit vertritt sie einen Standpunkt, der vor allem in der Philosophie und den Kulturwissenschaften zu finden ist: Während nämlich die Naturwissenschaften den Körper lediglich als funktionierende Maschine, als Batterie betrachten, ist er für die Philosophen die Schnittstelle zur Welt - schließlich sind es ausschließlich körperliche Erfahrungen, mit denen der Mensch die Welt wahrnimmt.

In den Kulturwissenschaften ist der Körper in den vergangenen Jahren sogar noch stärker in den Mittelpunkt gerückt: „Somatic Turn”, Hinwendung zum Körper, heißt hier das Schlagwort. Es beschreibt einen allgemeinen Trend, der sich in der Gesellschaft bereits in verschiedenen Facetten zeigt. Eine davon ist der Körperkult, der immer extremere Züge annimmt. Da wird gefärbt, geföhnt, geschnitten, gespritzt, abgesaugt und Sport getrieben, was das Zeug hält - alles für den vermeintlich optimalen Körper. Selbst Medikamente und künstliche Hormone sind nicht tabu, um das Äußere zu dopen.

Genau das andere Extrem findet sich in der Hirnforschung: „Je weiter die Erforschung des menschlichen Gehirns fortschreitet und es damit in immer feinere Areale mit spezifischen Funktionen aufgesplittet wird, umso mehr geht die gesamthafte Gestalt des Menschen, aber auch die körperliche Verortung seiner Identität verloren”, formuliert es die Medizinsoziologin Vera Kalitzkus von der Universität Witten-Herdecke. So habe man kürzlich erst entdeckt, wo die Mutterliebe wohne - und welcher Teil des Gehirns für den Glauben an Gott zuständig sei.

Ist der Kopf also Herr über den Körper oder doch eher dessen Sklave? Weder noch, müsste man wohl sagen, wenn man sich die Gefühle von Organspendern und -empfängern ansieht. Manche von ihnen verspüren ausschließlich Dankbarkeit, dass ihnen ein anderer Mensch ein neues Leben oder zumindest mehr Lebensqualität geschenkt hat. Sie haben überhaupt keine Schwierigkeiten, ihre neuen Körperteile als ihre eigenen zu akzeptieren. Andere stehen dem neuen Organ jedoch etwas zwiespältig gegenüber - wie etwa der Herzempfänger, der sich sein neues Herz nicht im Ultraschall ansehen konnte, weil er den Gedanken nicht ertrug, dass es zuvor in einem anderen Körper geschlagen hatte. Ein Neuseeländer litt sogar so sehr unter seiner transplantierten Hand, dass er sie kaum drei Jahre nach der Operation wieder entfernen ließ.

Keine Chance also für Whites Ganzkörpertransplantation - selbst wenn die im Moment noch beachtlichen technischen Schwierigkeiten gelöst sind? Schließlich könnten nicht nur Querschnittsgelähmte von einem neuen Körper profitieren: Mittlerweile gibt es auch Überlegungen, die Ganzkörpertransplantation bei Krebskranken anzuwenden, deren Gehirn metastasenfrei ist, oder bei Menschen mit genetischen Krankheiten, die ausschließlich den Körper befallen, wie „bild der wissenschaft” schreibt.

Umfassend beantworten, wie die Psyche eines Betroffenen auf einen neuen Körper reagieren würde, kann heute noch niemand. Man kann aber spekulieren: Nach allem, was Forscher mittlerweile über die Anpassungsfähigkeit des Gehirns wissen, wäre es durchaus möglich, dass sich Kopf und Körper aneinander gewöhnen. Nicht, weil das Gehirn den Körper als austauschbare Batterie betrachtet, sondern weil es ein Wechselspiel zwischen Körper und Kopf gibt. Nach und nach würden die Empfindungen und Sinneseindrücke des Körpers im Gehirn abgebildet, gespeichert und zu einem Bild zusammengesetzt - dem neuen Bild des Ichs, einer Einheit aus Körper und Gehirn.