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Aachen: Esoterik boomt: Wenn das Pendel die Entscheidungen trifft

Aachen : Esoterik boomt: Wenn das Pendel die Entscheidungen trifft

Zunächst spürt die Frau eine große Unzufriedenheit - mit der Partnerschaft, dem Job, dem Leben. Sie bleibt diffus, nicht greifbar. Dann, bei einer Meditation, erscheint ihr ein Engel und gibt Antworten auf die Frage nach dem Glück. Die Frau trennt sich daraufhin von ihrem Mann und schmeißt ihr Leben um - obwohl die Freunde mit dem Kopf schütteln. Wendet sich eine Freundin der Esoterik zu, ist das für ihr Umfeld oft schwer zu akzeptieren.

Ihre Freunde sollten Zweifel deutlich äußern, sagen Experten.

Der Esoterik-Markt boomt. In Buchhandlungen reihen sich Ratgeber zu Astrologie, Telekinese oder magischen Steinen aneinander. Wie viele Menschen an Esoterik glauben, ist jedoch schwer zu sagen. In einer repräsentativen Umfrage des Allensbach-Instituts aus dem Jahr 2001 erklärten 40 Prozent der Frauen, an Engel zu glauben. 26 Prozent waren der Ansicht, an Astrologie sei etwas Wahres dran. Nur 29 Prozent gaben an, dass sie aus dem Bereich Esoterik nichts ernst nehmen. Bei den Männern waren es 50 Prozent.

Zur Esoterik führen viele Wege: Fernsehsender strahlen Astrologie-Sendungen aus, in Frauenzeitschriften werben Heiler, auf Esoterik-Messen stellen Anbieter ihre Sortimente vor. „Selbst in Volkshochschulen gibt es Esoterik-Angebote”, sagt Susanne Kros, Ansprechpartnerin für neureligiöse Gruppen und Psychogruppen beim Landesjugendamt Rheinland-Pfalz in Mainz.

Laut Ursula Caberta liegt dieser Entwicklung eine gesellschaftliche Stimmung zugrunde: „Was wir kennen, hat versagt. Deswegen wenden sich die Menschen dem zu, was neu ist”, sagt die Expertin für Psychogruppen beim Hamburger Senat.

Manche gehen zum Spaß zur Kartenlegerin, andere, weil sie Probleme haben und Rat suchen, sagt Kros. Lässt sich die Freundin im Urlaub von einer Wahrsagerin aus der Hand lesen, ist das nach Ansicht der Experten kein Problem.

Kritisch werde es, wenn durch die Esoterik andere notwendige Dinge versäumt werden, sagt Amardeo Sarma, Geschäftsführer der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) in Roßdorf (Hessen). „Greift jemand bei einer Krankheit zu Heilsteinen und nimmt deswegen kein Antibiotika, kann es gefährlich werden.” Und sagt der Astrologe voraus, im Beruf werde alles gut gehen, könne das dazu führen, dass der Betroffene wichtige Entscheidungen versäumt.

Das eigentliche Problem sei die Abhängigkeit von den Aussagen anderer: „Die Leute verlassen sich darauf. Eine andere Person bekommt so Macht über sie”, erklärt Sarma. Statt vernünftige Entscheidungen zu treffen, vertrauten die Menschen auf Magisches.

Nach den Worten Sarmas halten esoterische Praktiken keiner wissenschaftlichen Überprüfung stand. So sei beispielsweise untersucht worden, ob mit der Wünschelrute Erdstrahlen zu finden sind. „Mehr als Zufallstreffer gab es nicht”, erklärt er.

Pendel, magische Steine oder Geistheiler können den Menschen trotzdem subjektiv helfen. „Die haben das Gefühl, dass es ihnen besser geht, weil es etwas Neues ist”, sagt Caberta. „Die wenigsten würden sich außerdem eingestehen: „Ich habe mehrere hundert Euro ausgegeben, und es hat nichts gebracht”.” Meist schließe sich an eine Behandlung die nächste an, es folgten teure Seminare. „Den meisten Anbietern geht es nur um Geld.”

Fühlen sich die Betroffenen besser, zählen wissenschaftliche Argumente nicht mehr. Stattdessen müssen sich Skeptiker Antworten anhören wie „Man kann eben noch nicht alles erklären”, sagt Sarma. Sind die Betroffenen nicht mehr bereit, die Empfehlungen eines Mediums kritisch zu hinterfragen, ist das nach Ansicht Cabertas bereits ein Grad von Abhängigkeit.

Für Freunde ist es schwer einzugreifen. Sarma rät, die Freundin auf die Abhängigkeit anzusprechen. „Machen Sie ihr klar, dass jemand anderes Macht über sie hat”. Vorwürfe seien hingegen fehl am Platz, sagt Kros. Stattdessen sollten Freunde versuchen, Argumente gegen eine Methode anzubringen - auch wenn die Betroffene sie nicht hören will.

Falsch sei zu hoffen, dass die Freundin von allein mit Pendeln und Co. aufhört. „Sie müssen Stellung beziehen und deutlich sagen: „Das ist Schwachsinn!"”, rät Caberta. Kritische Worte könnten zwar die Freundschaft belasten. „Aber die lebt sich eh auseinander, wenn sich jemand mehr und mehr mit Esoterik beschäftigt.” Wird deutliche Kritik an der Praxis geübt, bestehe die Chance, dass der Betroffene diese selbst hinterfragt. „Und wir wissen, dass sich die Betroffenen, wenn sie zweifeln, an die Leute wenden, die Kritik geübt haben.”

Damit die Freundin auf andere Gedanken kommt, rät Caberta, gemeinsam frühere Hobbys aufleben zu lassen. „Sie sollten sie aus den esoterischen Kreisen rausholen.” Falls möglich, können andere Freunde eingebunden werden. „Sprechen Sie ab, wer wann etwas mit der Freundin unternimmt.” Dabei sollte das Thema Esoterik tabu sein, um die Beschäftigung damit möglichst lange zu unterbrechen. Lässt sich die Freundin nicht überzeugen, müssen die anderen das wohl oder übel akzeptieren, sagt Kros. „Schließlich ist jeder Mensch frei.”