Klinik im Ausnahmezustand : Eine Mafia-Größe als Patient
Hannover/Aachen Weil ein mutmaßliches Clan-Mitglied aus Montenegro seine Schussverletzungen in einer Klinik in Hannover behandeln lässt, muss die Polizei rund um die Uhr Wache stehen. Wer zahlt das? Und: Wäre so etwas auch in unserer Region denkbar?
Polizisten mit Maschinenpistolen im Arm am Haupteingang, weitere bewaffnete Beamte mit Helmen und schusssicheren Westen an den Aufzügen oder in der Notaufnahme: An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) spielen sich seit Tagen Szenen wie aus einem Kinothriller ab. Der Grund ist ein Patient, der in eine blutige Clan-Fehde um Drogengeschäfte verwickelt sein soll.
Bereits am 7. Februar war das mutmaßliche Mafia-Mitglied aus Montenegro eingeflogen, um seine Ende Januar erlittenen Schussverletzungen behandeln zu lassen. Der Direktor der Unfallchirurgie erfuhr nach eigener Aussage erst bei der Ankunft des Mannes, dass dieser während des Klinikaufenthalts in seiner Heimat von der Polizei bewacht worden war und schaltete die Polizei Hannover ein.
Nach Darstellung des Mediziners schützten zunächst zwei Beamten den Patienten, was weder selten noch ungewöhnlich sei. Erst als das Spezialeinsatzkommando hinzugezogen wurde, informierte der behandelnde Arzt die Klinikleitung und diese wiederum das Wissenschaftsministerium als Aufsichtsbehörde. Nun prasselt Kritik von allen Seiten auf die renommierte landeseigene Uniklinik ein.
Die Täter feuerten laut Medienberichten in Montenegro mehr als 20 Mal auf den Geländewagen von Igor K., sieben Kugeln verletzten den 35-Jährigen lebensgefährlich. Bei einer Anfrage zur Behandlung derartiger Verletzungen hätte der MHH-Unfallchirurg nachfragen müssen, sagt Jens Jusczak, der an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg seit Jahren zum Thema Medizintourismus forscht. „Einen solchen Patienten hätte man ablehnen können und sollen.“ Angesichts des hohen Aufwands für die Sicherheit sowie der Imagenachteile werde der Patient zum Bumerang für die deutsche Klinik.
Im MHH-Hauptgebäude mit Geschäften und Bistros herrscht Betrieb wie in einer Bahnhofshalle. Schwerkranke mit Mundschutz im Bademantel, daneben die uniformierten Polizisten. Viele verstehen nicht, warum Igor K. ausgerechnet in Hannover behandelt wird. „Der gehört nicht hierher“, sagt ein 61-jähriger Besucher. Eine Frau, die ihren Mann zu einem ambulanten Termin begleitet, spricht von einem „mulmigen Gefühl“.
Erst am Dienstag äußerten sich der Unfallchirurg und andere leitende Ärzte im MHH-Intranet. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits Irritationen und Wut unter den 7600 Beschäftigten, die sich fragten, warum so ein fragwürdiger Patient überhaupt aufgenommen worden war.
„Wir haben ihn nicht hergeholt, wir haben ihm keinen roten Teppich ausgerollt“, betont Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius. Der Polizeieinsatz sei mit dem Bundeskriminalamt abgestimmt und diene vor allem dem Schutz Unbeteiligter wie Mitarbeiter, Patienten und Besucher. „Er ist weder Gefährder noch ist er in Deutschland Straftäter oder gesucht“, sagt der SPD-Politiker.
Der Steuerzahlerbund verlangt, die immensen Kosten für den Polizeieinsatz dem Privatpatienten beziehungsweise seiner „Clan-Familie“ in Rechnung zu stellen, falls dies rechtlich möglich sei. Auch die Ehefrau des 35-Jährigen, die in einem Hotel in der Nähe wohnt, wird dem Vernehmen nach bewacht. Abgeordnete in Hannover verlangen Aufklärung von der rot-schwarzen Landesregierung.