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Streit zwischen Traditionalisten und Modernisierern: Ein Dach aus Glas für Notre-Dame?

Streit zwischen Traditionalisten und Modernisierern : Ein Dach aus Glas für Notre-Dame?

Die Pariser Nationalversammlung verabschiedet ein Sondergesetz zum raschen Wiederaufbau des Prachtbaus. Es befeuert allerdings den Streit zwischen Traditionalisten und Modernisierern.

Seit die französische Regierung einen internationalen Architekten-Wettbewerb für den Wiederaufbau der Mitte April durch einen Großbrand schwer beschädigten Pariser Kathedrale Notre-Dame angekündigt hat, ist in Frankreich ein heftiger Streit zwischen den Gralshütern der Tradition und den Modernisierern ausgebrochen. Während die „Anciens“ eine originalgetreue Restauration des frühgotischen Prachtbaus fordern, plädieren die „Modernes“ für eine „scheuklappenfreie“ Fortentwicklung der acht Jahrhunderte alten Basilika.

 Der hohe Wellen schlagende Disput geht weit über Fragen kunsthistorischer oder ästhetischer Natur hinaus. Sowohl die Religion als auch die Politik kommt ins Spiel, wenn die eine Seite Notre-Dame als Symbol der Christenheit bewahren will, während die andere die Meinung vertritt, dass das Antlitz des Pariser Symbols eine zeitgemäße Ausprägung verdient. In der Nacht auf Samstag haben die Modernisierer jetzt den ersten Sieg errungen: Nach einer hitzigen und mehr als 13-stündigen Debatte verabschiedete die Nationalversammlung ein Sondergesetz, das es der Regierung erlaubt, bei der Renovierung von Notre-Dame geltende Denkmal- und Umweltschutzbestimmungen zu unterlaufen.

Das Votum der Abgeordneten soll Präsident Emmanuel Macron die Möglichkeit geben, ein noch in der Brandnacht ausgesprochenes Versprechen einzulösen. Notre-Dame werde wieder aufgebaut – und zwar innerhalb von fünf Jahren und „schöner als zuvor“. Grund genug für die Opposition, dem Präsidenten „Größenwahn“ vorzuwerfen. Linke wie konservative Politiker sind überzeugt, dass hinter der Eile und dem „Ermächtigungsgesetz“ die Absicht des Präsidenten steckt, sich mit der neuen Notre-Dame ein Denkmal zu setzen.

Jedenfalls scheint Macron fest entschlossen, die Renovierung so rasch voranzutreiben, dass sie vor dem Beginn der Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris abgeschlossen ist. Mit dem Fünf-Sterne-General Jean Louis Georgelin beauftragte er einen ehemaligen Generalstabschef der französischen Streitkräfte damit, den offenbar wie einen Feldzug geplanten Wiederaufbau zu koordinieren.

Zum Entsetzen der Traditionalisten hat Macron bereits erklärt, dass er sich beim Wiederaufbau des eingestürzten Mittelturms durchaus eine „zeitgenössische Geste“, also eine moderne Version vorstellen könne. Eine Empörung, die bei den Modernisierern für reichlich Spott sorgt, da der filigrane Spitzturm aus dem 19. Jahrhundert stammt, sich keineswegs an den Vorgaben aus dem 13. Jahrhundert orientierte und folgerichtig alles andere als originalgetreu war.

Derweil schießt die Fantasie von Architekten aus aller Welt, die erste Entwürfe für die Renovierung der Pariser Kathedrale vorstellten, regelrecht in den Himmel. So schlägt ein brasilianisches Büro ein neues Dach aus Kirchenfenstern vor, ein russischer Architekt sogar ein vollkommen durchsichtiges Glasdach.

Einen Schuss vor den Bug der Modernisierer und des Präsidenten stellt hingegen eine von 1170 französischen wie internationalen Konservatoren und Kunstexperten unterzeichnete Petition dar, die besorgt sind, dass bei dem Wiederaufbau die Expertise der Denkmalschützer übergangen zu werden droht. Sie fordern dazu auf, sich die Zeit zu nehmen, „den richtigen Weg zu finden“ und werfen Macron vor, die „Komplexität des Denkens“ auf dem „Altar der Effizienz“ zu opfern.

Finanzprobleme gibt es keine

„Die Franzosen erwarten eine rasche Reaktion der Regierung“, verteidigte Kultusminister Frank Riester am Sonntag das Sondergesetz trotzdem und verwies auf den Strom der Spenden, die in kürzester Zeit für den Wiederaufbau eingingen und die Gesamtsumme von einer Milliarde Euro überschreiten. An Finanzproblem wird die Renovierung von Notre-Dame also auf keinen Fall scheitern. Auch wenn Riester die Gesamtkosten nach eigenen Angaben noch nicht beziffern kann, gehen Schätzungen davon aus, dass sie zwischen 600 und 800 Millionen Euro liegen dürften.