Expedition in Norwegen : Die Suche nach dem kleinen Schwarz im großen Weiß
Finnmark Willem Betzels zweite Heimat ist die norwegische Arktis, die Finnmark. Dort sucht er jetzt Mikroplastik, das hat noch niemand gemacht. Darüber entsteht eine Doku.
Willem Betzel ist gerade dort, wo die Thermometer hohe Minusgrade anzeigen. Er sieht endlosen Schnee. Er liebt diese Bedingungen, er liebt die Finnmark im nördlichsten Norwegen. Betzel und seine Frau Stephanie, beide 34 Jahre alt, sind jedes Jahr dort oben nahe der Arktis. Sie machen mehrtägige Expeditionen im Land der Samen, so heißt die dortige Volksgruppe. Dieses Mal, jetzt gerade, ist es anders als sonst. Sie machen etwas, was vorher noch niemand getan hat.
Das liegt an Professor Andreas Fath. Wer den 56-Jährigen googelt, liest schnell: Fath ist ein Wissenschaftler, der die Extreme mag. 2014 ist er öffentlichkeitswirksam den Rhein hinab geschwommen, 1231 Kilometer von der Quelle bis zur Mündung – auf der Suche nach Mikroplastik. Das tut er nun auch in der Finnmark. Nicht schwimmend, sondern wenn er mit Willem Betzel und Stephanie Lierenfeld acht Tage lang mit Schlitten und Huskies Hunderte Kilometer über Schnee und zugefrorene Seen fährt.
„Wir möchten die Ergebnisse in die gesamtheitliche Forschung über den Klimawandel einbetten“, sagt der gebürtige Kölner Betzel. „Wir möchten einen Fleck in der Studien-Landschaft schließen. Die Finnmark ist schließlich ein riesiges Gebiet.“ Der 34-Jährige sagt, es sei „leider sehr wahrscheinlich“, Mikroplastik in dieser abgelegenen Region zu finden, denn Mikroplastik finde man nun einmal überall auf der Welt.
Die Fragen lauten daher: Wie viel? Und welche Art Mikroplastik, etwa Reifenabrieb oder Reste von Konsumgütern? Den Ergebnissen würde eine Hypothese folgen, welchen Weg das Mikroplastik bis zum nördlichsten Norwegen hinter sich hat. Die Region ist ja alles andere als dicht besiedelt. Deswegen zieht es Willem Betzel und seine Frau seit Jahren dorthin – so wie im April 2019, als sie ihren Augen nicht trauen wollten und begannen, sich auf die aktuelle Expedition vorzubereiten.
Man muss wissen, dass der April in der Finnmark als der beste Monat für Touren mit Schlittenhunden gilt, sagt Stephanie Betzel. Viel und hervorragender Schnee, viel Tageslicht, kalte Nächte. Normalerweise. Im April 2019 nicht. „Die zugefrorenen Seen und Flüsse sind getaut, nach einer Woche war im Tal der ganze Schnee weg – wir konnten ihm beim Schmelzen zusehen“, erinnert sie sich. Es war warm und windig, diese Kombination wirkt wie ein Fön.
Ein einheimischer Freund habe beiden erzählt, so etwas noch nie erlebt zu haben. Der darauffolgende Sommer war ebenfalls außergewöhnlich warm. „Das war also kein Ausrutscher der Natur“, sagt Stefanie Betzel. „Das war kein Wetter, sondern Klima“, sagt ihr Mann Willem. Und die Recherche begann.
Mit dem Resultat: Es gebe keine Untersuchungen, die die Folgen des Klimawandels für die Region, für die Samen und deren Kultur bedeute. Das mag zunächst verwundern, sind doch Bilder von mageren Eisbären und herabstürzenden Gletschern die Foto- und Videomotive schlechthin, um den dramatischen Wandel der Natur zu dokumentieren. Aber genau das ist der Punkt, glaubt Willem Betzel: Von der riesigen Finnmark gibt es solche Aufnahmen nicht, weil sie so „unspektakulär“ ist. Rau und flach. „Keine krassen Bilder“, sagt Betzel.

Das Paar hat viel gelesen, viele Mails geschrieben, viele Anrufe gemacht, aber es fand sich kein Forschungsinstitut, das die Möglichkeit hatte, die beiden zu begleiten, erzählen sie. Die beiden hatten anfangs gehofft, das „Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung“ (AWI) für ihr Vorhaben zu gewinnen – es ist eines der weltweit führenden und international anerkannten Zentren für Klimaforschung in beiden Polarregionen und den Meeren. Aber: „Wie es in der Wissenschaft so ist, fehlen oft die Ressourcen“, sagt Dr. Lars Gutow auf Anfrage der Redaktion. Er ist Meeresbiologe und Experte für Müll in Meeren beim AWI.
Die Expedition hält er für eine „gute Sache“, und die Idee, Tourismus (Text unten) und andere Aktivitäten mit Forschung zu verbinden sei „pfiffig“, sagt Gutow. Und für das AWI nicht neu. „Wir werden oft gefragt. Der große Vorteil ist: Wir können räumliche Lücken schließen.“ Als bekanntes Beispiel nennt Gutow den Segler Boris Herrmann, der 2020/21 an der Vendée Globe teilgenommen hat. Die härteste Einhandsegler-Regatta der Welt führt 50.000 Kilometer entlang des Südpolarmeers einmal um den Globus. Auf dieser mehrwöchigen Fahrt hat Herrmann ständig Daten zum CO2-Gehalt, zur Temperatur und zum Salzgehalt des Wassers aufgezeichnet.
Besonders macht die jetzige wissenschaftliche Expedition von Willem und Stephanie Betzel auch, dass die unabhängige Berliner Dokumentarfilmerin Wera Uschakowa mitfährt, die auf das Projekt aufmerksam geworden war. Und Betzel hat eine klare Vorstellung davon, wie der Film später aussehen soll. „Die Indigenen und ihre Sicht auf die Welt und den Naturschutz sollen im Fokus sein“, betont er. „Wie muss Naturschutz aus Sicht der Indigenen ablaufen, damit er für sie lebbar und realistisch ist?“ Alle Ergebnisse der Studien werden der größten norwegischen Naturschutzorganisation überlassen, und Willem Betzel hofft, dass das Projekt fortgeführt wird.