Nach Zyklon „Idai“ : Daniel Timme aus Roetgen hilft Zyklon-Opfern in Mosambik
Beira/Roetgen Daniel Timme hilft im Namen von Unicef in Mosambik dabei, die Folgen der Zyklon-Katastrophe zu mindern.
Im Gespräch mit Anna Katharina Küsters schildert er die aktuelle Notlage, den Einsatz der Helfer und wie er selbst mit dem Leid, das er jeden Tag sieht, umgeht.
Was ist zurzeit die größte Herausforderung, der sich die Helfer vor Ort stellen müssen?
Daniel Timme: Eine große Herausforderung bleibt, zu den Menschen zu kommen. Die Stadt Beira war zum Beispiel lange wegen der starken Überschwemmungen geographisch komplett abgeschnitten. Der Flughafen war zerstört und die Straßen sind erst seit vorgestern (Sonntag) wieder befahrbar. Das größte Problem sind gerade aber die ländlicheren Gegenden. Hier erreichen wir die Menschen zurzeit nur mit Helikoptern. Ein anderes Problem ist, dass es in so einer akuten Notsituation erst mal sehr chaotisch abläuft. Es kommen Helfer aus aller Welt nach Mosambik, die sich absprechen und koordinieren müssen, wo am dringendsten Hilfe benötigt wird.
Wie sieht diese Koordination konkret aus?
Timme: Zum Beispiel hat die Regierung in Mosambik bereits provisorisch geholfen, in dem sie öffentliche Gebäude für obdachlose Menschen geöffnet hat. So hatten diese wenigstens ein Dach über dem Kopf. In den Unterbringungen waren aber Frauen, Kinder und Männer zusammen untergebracht. Frauen und Kinder sind in solchen Notsituationen besonders verletzlich und nicht gut geschützt gegen Missbrauch und Ausbeutung. Wir versuchen deshalb, wenn es sich nicht um Familien handelt, eine Trennung vorzunehmen. Dabei haben wir besonders Kinder im Blick, von denen viele ihre Eltern verloren haben.
Wie helfen Sie den Kindern?
Timme: Wenn die Such- und Rettungsteams Kinder finden, geben sie sie in den Anlaufzentren ab. Wir überprüfen zuerst, ob sie medizinisch versorgt werden müssen und ob sie akut mangelernährt sind. Ist das nicht der Fall, werden sie in provisorische Unterkünfte gebracht. In kleineren Aufnahmezentren kann dann eine Betreuung gut organisiert und den teils traumatisierten Kindern geholfen werden. Wir arbeiten eng mit lokalen Partnern zusammen, damit Strukturen entstehen, die auch, wenn wir nicht mehr vor Ort sind, Stabilität garantieren. Die Zentren sollen zudem möglichst klein gehalten werden, damit die Menschen möglichst an ihrem Ursprungsort bleiben können. Wir wollen keine Megalager.
Wo sind Sie gerade stationiert?
Timme: Ich pendle zurzeit zwischen Beira und Maputo. Das Telefonnetz in Beira steht zwar wieder, allerdings ist es sehr überlastet. Von Maputo aus habe ich mehr Möglichkeiten, von der Lage hier zu berichten und mich mit meinen Kollegen abzusprechen. Wir bauen zum Beispiel gerade zwei Büros auf: eins in Beira und eins im kleineren Ort Chimoio. Es kommen Kollegen aus der ganzen Welt hierher, um zu helfen. Wir sind so viele, dass einige sogar in der Besenkammer arbeiten, weil sonst nirgendwo Platz ist.
Wie lange plant Unicef vor Ort zu bleiben?
Timme: Wir werden uns schätzungsweise neun Monate intensiv an der Katastrophenbekämpfung beteiligen. Aber aufgrund der guten Zusammenarbeit wird die chaotische Situation jeden Tag ein kleines bisschen besser. Einer der wichtigsten Punkte ist die Trinkwasserversorgung. Zusammen mit dem Department for International Development aus Großbritannien und der Regierung haben wir die Trinkwasserversorgung in Beira innerhalb weniger Tage wieder aufbauen können. Unsere größte Sorge sind dahingehend die ländlichen Gebiete. Hier müssen Pump- und Filterstationen repariert und Generatoren ausgetauscht werden. Das ist eine logistische Herausforderung, wenn der Zugang zu den Gebieten sowieso schon fast nicht möglich ist.
Welche Möglichkeiten haben Sie noch, die Menschen mit sauberem Wasser zu versorgen?
Timme: Es gibt eine bestimmte Flüssigkeit, die dreckiges Wasser entkeimt. Die verteilen wir in großem Stil an die Menschen. Wir haben in Beira und den umliegenden betroffenen Destrikten vier Cholera-Zentren eingerichtet. Außerdem ist Cholera-Impfstoff für 900.000 Menschen unterwegs. Hier ist das Problem jedoch, dass wir die Menschen auch erreichen und sie zudem davon überzeugen müssen, sich impfen zu lassen. Dafür kooperieren wir mit verschiedenen Radiostationen, weil hier das Radio das wichtigste Medium ist. So können wir viele erreichen und darüber informieren, wie wichtig eine Impfung ist.
Der Zyklon hat die Küste von Mosambik nicht ohne Vorwarnung getroffen. Wurden vorher Maßnahmen ergriffen, sich gegen den Sturm zu wappnen?
Timme: Ja, es wurden verschiedene Schritte schon im Vorhinein unternommen. Allerdings konnte keiner die Heftigkeit des Sturms erahnen. Mosambik wird immer wieder von Zyklonen von der Stärke zwei bis drei getroffen, dieser hatte aber sogar Stärke vier. Vorher hat Unicef Lagerhäuser angelegt, in denen Material für vollausgestattete, kleine Gesundheitszentren und Notschulen gelagert ist. Aber in Beira wurde eines dieser Lager leider auch vom Zyklon zerstört und war nicht mehr nutzbar.
Wie viele Menschen sind Ihrer Einschätzung nach von den Folgen des Sturms betroffen?
Timme: Wir gehen von fünf Millionen betroffenen Menschen aus, von denen nun 1,85 Millionen dringend humanitäre Hilfe brauchen. Darunter sind eine Million Kinder. Etwa 400.000 haben ihr Zuhause verloren. Diese Zahlen sind aber lediglich Schätzungen, wir können bisher aufgrund der unübersichtlichen Lage noch keine konkreten Angaben dazu machen.
Sie sehen jeden Tag viel Leid – wie gehen Sie damit um?
Timme: Ich denke, das ist mit jemandem zu vergleichen, der Rettungssanitäter in einem Krankenwagen ist. Man darf das Ganze nicht an sich heranlassen, damit man funktioniert. Es gibt auch gerade so viel zu tun, dass wir gar keine Zeit haben, richtig über alles nachzudenken. Aber natürlich geht einem das Ganze, wenn man beginnt es zu verarbeiten, an die Nieren.
Sie stammen aus Roetgen, haben Sie noch Verbindungen in die Region?
Timme: Ich bin ein Mal im Jahr dort und habe dort auch noch einige Freunde, die ich auch vermisse. Mit Blick auf den Tornado in Roetgen war ich beeindruckt davon, dass dort innerhalb weniger Stunden so viele Hilfskräfte waren. Hier in Mosambik dauert alles noch so viel länger aufgrund der schwachen Infrastruktur.