1. Panorama

Bordelle nach dem Lockdown: „Bestraft die Freier“

Bordelle nach dem Lockdown : „Bestraft die Freier“

Deutschland sei mittlerweile das „Bordell Europas“, sagt Alice Schwarzer. Der einzige Weg ist ihrer Meinung nach die Kriminalisierung der Sexkäufer – nach dem Vorbild Schwedens.

Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten von CDU und SPD hatte 2020 gefordert, die Bordelle nach dem Lockdown nicht wieder zu öffnen. Seitdem wird kontrovers darüber diskutiert, wie mit dem sogenannten Sexmarkt hierzulande verfahren werden soll. Alice Schwarzer hat da natürlich auch eine Meinung. Darüber sprach sie mit Lothar Schröder.

Frau Schwarzer, der Lockdown bietet aktuell viele Chancen; eine davon ist, über die Prostitution in Deutschland grundsätzlich nachzudenken. Wie nehmen Sie die aktuelle Debatte wahr?

Alice Schwarzer: Ermutigend! In den vergangenen Monaten haben erstmals Bundestagsabgeordnete aus mehreren Fraktionen so wie die gesamte CDU-Frauenunion sich für ein Verbot der Prostitution ausgesprochen. Das heißt, für die Bestrafung der Freier und verstärkte Ausstiegshilfen für die Frauen. Umso erstaunlicher, dass die CDU-Frauenunion NRW einen genau gegenteiligen Kurs einschlägt, allen voran die Düsseldorfer CDU-Bundestagsabgeordnete Silvia Pantel. Die Mutter von fünf Kindern schäkert aber offensichtlich gerne mit Bordellbetreibern wie Felicitas Schirow und Bert Wollersheim rum, wie Fotos belegen. Letzteren bezeichnete die Christdemokratin als einen „netten Mann“. Das ist schon sehr irritierend.

Ein Argument jener, die alles so lassen wollen, wie es ist, lautet: Mit einem Sexkaufverbot werden Prostituierte in die Illegalität abgedrängt.

Schwarzer: Das Gegenteil ist der Fall! Das aktuelle Prostitutionsgesetz hat Deutschland zum „Bordell Europas“ und zum Einreiseland für Sextouristen gemacht.  Es ist ein Freifahrtschein für Menschenhändler, Zuhälter und Bordellbetreiber. Die Frauen aber lässt es im Stich. Die Schätzungen belaufen sich heute in Deutschland auf 200.000 bis 400.000 Frauen in der Prostitution. Das muss man sich mal vorstellen! Wir haben keine Ahnung, wie viel Hunderttausende es überhaupt in Deutschland gibt. Nur 76 Prostituierte haben sich sozialversicherungspflichtig angemeldet – und rund 40.000 bei der jeweiligen Stadt, der Rest ist in der Illegalität. Aber was bedeutet Legalität? Wenn zum Beispiel eine 18-jährige Rumänin von ihrer Familie in ein deutsches Bordell geschickt wird und jeden Tag 20 Freier bedienen muss, ist das in Deutschland legal. Wollen wir das?   

 „Die heutige Prostitution ist ohne Menschenhandel gar nicht denkbar“, sagt Alice Schwarzer (Archivbild).
„Die heutige Prostitution ist ohne Menschenhandel gar nicht denkbar“, sagt Alice Schwarzer (Archivbild). Foto: Henning Kaiser/dpa/Henning Kaiser

Ist Prostitution also immer auch Menschenhandel?

Schwarzer: Die heutige Prostitution ist ohne Menschenhandel gar nicht denkbar. Sie liegt weitgehend in den Händen der Organisierten Kriminalität. Die Frauen, die oft kein Wort Deutsch sprechen und aus Osteuropa oder Afrika importiert werden, karrt man als „Frischfleisch“ alle paar Wochen von Bordell zu Bordell. Eine Unterscheidung zwischen „Zwangs“- und „Elends“-Prostitution ist nicht möglich, diese Frauen tun es alle aus ökonomischen Zwängen und unter Gewaltandrohung. Und die maximal zehn Prozent „freiwilliger“, also der deutschen Prostituierten, sind so manches Mal Opfer von Loverboys – oder Betreiberinnen sogenannter Studios, in denen andere Frauen für sie anschaffen, also selber Zuhälterinnen.

Das sogenannte Schwedische Modell kriminalisiert die Sexkäufer, nicht die Frauen. Was halten Sie von diesem Weg?

Schwarzer: Es ist der einzige Weg! Denn erst die Käufer schaffen den Markt. In dem Moment, wo es keine Kunden mehr gibt, gibt es auch keine Prostitution mehr. Darum ist die Bestrafung von Freiern – mit Geldstrafen und Aufklärungskursen – der erste Schritt im Kampf gegen die Prostitution. Die Frauen in der Prostitution aber dürfen nicht kriminalisiert werden, im Gegenteil: Denen muss geholfen werden. Durch Möglichkeiten zum Ausstieg zum Beispiel. Oder am besten noch früher: Durch Aufklärung über die große Gefahr in deren Heimatländern. Damit sie gar nicht erst kommen.

Seit 1999 gibt es in Schweden das Sexkaufverbot. Der Sexmarkt dort sei dadurch inzwischen tot, heißt es. Zudem sind Gewaltdelikte gegenüber den Frauen drastisch gesunken. Warum wird Ihrer Ansicht nach in Deutschland darüber erst jetzt diskutiert?

Schwarzer: Nicht nur Schweden bestraft Freier, auch Frankreich und Israel tun das heute, und es werden immer mehr Länder. Heute sind in Schweden drei von vier Männern und acht von zehn Frauen für die Ächtung der Prostitution und die Bestrafung der Freier. Ein Mann, der sich erwischen lässt, ist unten durch – und prahlt nicht mit seinen Bordellbesuchen in der Boulevardpresse, wie in Deutschland. Wie kann es sein, dass gerade Deutschland gegenüber diesen Verstößen gegen die elementarsten Menschenrechte so ignorant ist? Ja, das muss die Politik sich fragen!