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New York: Anne Frank könnte noch leben: Vater kämpfte um Flucht in die USA

New York : Anne Frank könnte noch leben: Vater kämpfte um Flucht in die USA

Anne Frank, die mit ihrem anrührenden „Tagebuch” Millionen von Menschen weltweit das Leid der Juden unter dem Nazi-Regime nahe gebracht hat, könnte noch leben. „Sie wäre jetzt eine 77 Jahre alte Frau, würde vielleicht in Boston wohnen, Schriftstellerin sein.”

Dieses Bild entwirft der amerikanische Historiker Prof. Richard Breitman nach dem überraschenden Auftauchen eines bisher unbekannten Briefwechsels von Anne Franks Vater in New York.

Was die Forscher bisher nicht wussten: Der Korrespondenz zufolge hat der jüdische Geschäftsmann Otto Frank 1941 alles versucht, seine Familie - die beiden Töchter Margot und Anne, seine Frau Edith und die Schwiegermutter Rosa Holländer - vor den Nazi-Schergen in Holland zu retten und Unterschlupf für sie in den USA zu finden. Er bemühte sich mit Unterstützung einflussreicher US-Freunde intensiv um ein Visum und versuchte, das dafür notwendige Geld aufzutreiben. Wichtigster Ansprechpartner war sein Studienfreund Nathan Strauss junior aus Heidelberger Zeiten, dessen Vater der Gründer des legendären New Yorker Kaufhauses Macy´s war.

Dass die zeitgeschichtlich wichtigen Briefe überhaupt gefunden wurden, ist einem Riesenzufall zu verdanken. Eine freie Mitarbeiterin des YIVO Instituts für jüdische Studien in New York hatte den Ordner beim Sortieren von Material unter Tausenden und Abertausenden von Dokumenten entdeckt. Nur weil auf dem Umschlag das Geburtsdatum von Otto Frank fehlte, machte sie den Ordner auf - und merkte erst beim Durchblättern der Unterlagen, um welch berühmte Familie es sich handelte. Das US-Nachrichtenmagazin „Time” hatte Ende Januar erstmals über den Fund berichtet, am Mittwoch wurden die Briefe offiziell vorgestellt.

Ingesamt umfasst die Korrespondenz rund 80 Dokumente aus der Zeit vom 30. April bis zum 11. Dezember 1941; an diesem Tag erklärte Deutschland den USA den Krieg. „Ich bin gezwungen, nach einer Möglichkeit zum Auswandern zu suchen, und soweit ich es sehe, sind die USA das einzige Land, in das wir gehen könnten”, heißt es in dem ersten Brief Franks an seinen Freund Strauss. „Es ist vor allem wegen der Kinder, für die wir sorgen müssen. Unser eigenes Schicksal ist weniger wichtiger.”

Was der Familie dann aber nach Einschätzung von Experten zum Verhängnis wurde, war die amerikanische Einwanderungspolitik. In den Jahren 1940 und 1941 hätten die US-Behörden die Hürden für die Vergabe von Visa an Flüchtlinge höher und höher gelegt, sagte Prof. Breitman von der American University. Als Otto Frank sich 1941 um eine Einreise in die USA bemüht habe, sei es zu spät gewesen. „Es war zu spät wegen deutscher Aktionen, aber es war auch zu spät wegen Aktionen der amerikanischen Regierung”, sagte der Historiker. Auch der Holocaust-Experte Prof. David Engel von der New York University machte indirekt die strikte US-Einwanderungspolitik für den Tod unzähliger Juden mitverantwortlich.

Nachdem für die Franks auch andere Fluchtmöglichkeiten - etwa nach Portugal oder Kuba - gescheitert waren, bezog die Familie im Juli 1942 ihr Versteck in einem Hinterhaus von Amsterdam, in dem sie zwei Jahre unentdeckt lebten. Hier entstand Anne Franks „Tagebuch”.

Otto Frank war der einzige der Familie, der den Holocaust überstand. Er veröffentlichte nach dem Krieg das Tagebuch seiner Tochter und starb 1980 in der Schweiz. Anne Frank, damals 15, und ihre drei Jahre ältere Schwester Margot kamen 1945 bei einer Typhus- Epidemie im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben.