Berlin : Analyse und Appell: Klare Kante gegen Rechtsextremisten zeigen
Berlin Als Anfang der 90er Jahre im Osten Asylbewerberheime in Brand gesteckt wurden und ein rassistischer Mob erschreckende Schlagzeilen machte, gab es viele Erklärungsversuche für die Gewaltausbrüche. Hatten Ostdeutsche Angst vor dem Fremden, waren sie überfordert mit der Einheit, wollten sie die DDR wiederhaben, waren sie enttäuscht?
Seit dem Flüchtlingszuzug 2015 wurden wieder gerade im Osten verstärkt deren Unterkünfte angegriffen und die Neuankömmlinge fremdenfeindlich beleidigt. Pegida machte sich breit. Die AfD machte lautstark Stimmung gegen Flüchtlinge. Nach mehr als 25 Jahren Deutscher Einheit heißt es nun in einer am Donnerstag vorgestellten Studie zu Ursachen des Rechtsextremismus in Ostdeutschland: Das gehäufte Auftreten rechtsextremer oder fremdenfeindlicher Einstellungen hat sich manifestiert.
„Es gibt neue Aktionsformen”, sagt einer der Autoren, Danny Michelsen, zu der Entwicklung seit den 90er Jahren. Ein Beispiel seien sogenannte Bürgerwehren. Eine feindliche Haltung gegen Asylbewerber hätten nicht nur gut organisierte Rechte, der Prozess habe sich „verbürgerlicht”.
Iris Gleicke, Ostbeauftragte der Bundesregierung, nennt die Zunahme des Rechtsextremismus bestürzend und warnt vor der Gefahr für den sozialen Frieden. Die SPD-Politikerin gab die Analyse in Auftrag. Nach ihren Angaben wird die Hälfte der rechtsextremen Straftaten im Osten verübt, wo aber nur 19 Prozent der Deutschen lebten. Gleicke und die Verfasser unterstreichen, Rechtsextremismus gebe es auch in den alten Ländern. „Pauschalurteile sind völlig fehl am Platze”, so die Ostbeauftragte.
Die aus Thüringen stammende Parlamentarische Staatssekretärin betont: „Die Mehrheit der Ostdeutschen ist nicht rechtsextrem.” Aber überall dort, wo die Zivilgesellschaft schwach sei, könnten sich braune Strukturen verfestigen. Und: „Einen Rückzug des Staates aus ganzen Regionen dürfen wir nicht zulassen.”
In der Analyse des Instituts für Demokratieforschung in Göttingen wurden die sächsischen Städte Freital und Heidenau sowie der Stadtteil Herrenberg in Thüringens Landeshauptstadt Erfurt unter die Lupe genommen. Wo liegen nun die Gründe für die besorgniserregende Entwicklung?
Die Autoren sprechen von einem „Ursachenbündel”. Der schwierige Transformationsprozess nach dem Mauerfall für viele Ostdeutsche, das lange Nachwirken des abgeschotteten Lebens in der DDR, Diktaturerfahrung, eine paradoxe Haltung zum Staat mit hohen Erwartungen und gleichzeitiger Ferne - „diese Melange gibt es in ganz Ostdeutschland”, sagt Verfasser Michael Lühmann.
Auch heute sei eine romantische Verklärung der DDR anzutreffen, die die „Leerstellen der Unzufriedenheit auffüllt”. 20, 25 Jahre lang sei versäumt worden, darüber zu reden - in der Hoffnung, dass sich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem massenhaften Wegbrechen von Arbeitsplätzen im Osten die Probleme von allein lösen, so der Wissenschaftler. „Es gibt keine Erinnerungskultur.”
Und dann noch Sachsen. Lühmann berichtet, bei Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) habe man sofort einen Gesprächstermin bekommen, aber nicht in Sachsen. Er konstatiert eine „sächsische Überhöhung” mit der Neigung, Konflikte wegzudrücken. Wer Probleme mit rechten Einstellungen benenne, werde auch als Nestbeschmutzer angesehen. Gegen die Verfolgung rechter Straftaten gebe es Vorbehalte. Der Freistaat habe lange so getan, als gäbe es keine rechtsextremen Probleme. Lühmann, der aus Leipzig stammt, meint: „Es hat wehgetan, das zu beobachten.”
Schon in ihrem letzten Jahresbericht zur Deutschen Einheit hatte Gleicke im September 2016 beklagt, der Rechtsextremismus stelle „in all seinen Spielarten eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar”. Ein nicht weltoffener Standort erleide auch ökonomische Nachteile.
Nun appelliert die Ostdeutsche kämpferisch: „Ich kann uns nur zu klarer Kante raten.” Gegenwehr sei gefragt. Gerade strukturschwache Gegenden, wo sich die Menschen abgehängt fühlten, müssten gefördert und engagierte Lokalpolitiker unterstützt werden. „Die Lösung liegt vor Ort.” Demokratielotsen und Erzählsalons seien Angebote gegen Sprachlosigkeit. Gleicke scheidet mit der Bundestagswahl im September aus dem Bundestag aus.