Studie : Zu wenige Fachlehrer, kümmerliche Digitalisierung
Düsseldorf/Dortmund Einmal im Jahr bekommt die Landesregierung von Schulleitern ein Zeugnis ausgestellt. Das Ergebnis ihrer Befragung zeigt alarmierende Tendenzen: Die Note verschlechtert sich und die mangelhafte digitale Ausstattung schlägt jetzt in der Corona-Krise besonders ins Kontor.
Das Zeugnis der nordrhein-westfälischen Regierung für ihre Schulpolitik hat sich nicht verbessert. Laut einer am Montag veröffentlichten repräsentativen Schulleiterbefragung für den Verband Bildung und Erziehung (VBE) kommt NRW in der Gesamtnote wieder nur auf „ausreichend“. Der noch kurz vor der Coronavirus-Pandemie erstellten Studie zufolge ist das die Quittung für Lehrermangel und Überforderung durch wachsende Anforderungen und Zumutungen. Besonders auffällig und in der Corona-Krise mehr denn je spürbar: die völlig unzureichende digitale Ausstattung der Bildungsstätten.
Lehrermangel
Mehr als jeder zweite Schulleiter bundes- und landesweit benannte Lehrermangel als größtes Problem an seiner Schule. Auch in den beiden Vorjahren stand das Thema bereits auf Platz eins der Mängelliste. Konkret betroffen sind sogar noch mehr: 70 Prozent der Befragten im bevölkerungsreichsten Bundesland gaben an, gegen Lehrermangel und unbesetzte Stellen ankämpfen zu müssen - deutlich mehr als im Vorjahr (60 Prozent) und weit über dem bundesweiten Wert (59 Prozent). „Das System ist zu sehr auf Kante genäht“, kritisierte VBE-Landeschef Stefan Behlau.
Unbesetzte Stellen
Bei den Schulleitern, die in NRW zum Zeitpunkt der von Januar bis Mitte Februar dieses Jahres durchgeführten Befragungen mit Lehrkräftemangel und Vakanzen rangen, waren neun Prozent der Lehrerstellen unbesetzt (bundesweit: 10 Prozent).
Digitalisierung
60 Prozent der Schulleiter in NRW (bundesweit: 64 Prozent) haben nicht in allen Klassen- und Fachräumen Breitbandinternet und WLAN zur Verfügung. Fast genauso viele haben auch keine Tablets und Smartphones für ihre Klassen. „Corona macht diesen Mangel jetzt noch spür- und sichtbarer“, stellte Behlau fest. „Es sollte möglichst schnell eine Digitaloffensive für die Schulen anlaufen, die diesen Namen auch verdient.“ Der Mix aus Lernen auf Distanz und Präsenzunterricht erzwinge nun einen Investitionsschub.
Schulgebäude
Etwa jeder dritte Rektor oder Direktor in NRW bemängelt den Zustand der Gebäude und die Ausstattung an seiner Schule - im Vorjahr tat das erst jeder vierte. Bundesweit klagt darüber nur jeder fünfte.
Seiteneinsteiger
Laut der Umfrage gibt es in NRW einen massiven Anstieg von Seiteneinsteigern an den Schulen. Demnach arbeiten 75 Prozent aller allgemeinbildenden Schulen mit Personal aus anderen Ausbildungs- und Berufszweigen und damit deutlich mehr als im Vorjahr (58 Prozent) und als im Bundesdurchschnitt (53 Prozent). Rund 70 Prozent der Schulleiter mit Seiteneinsteigern im Kollegium sagten, diese hätten vor ihrem ersten Unterrichtseinsatz nicht mal eine mindestens halbjährige Vorqualifizierung erhalten. Auch dieses Versäumnis verschärfe in Zeiten von Corona den Mangel an geeigneten Fachkräften, betonte Behlau.
Inklusion und Integration
Gut jeder vierte Rektor oder Direktor landes- und bundesweit fühlt sich, wie schon in den beiden Vorjahren, mit der Eingliederung behinderter und ausländischer Schüler überfordert. Ebenso viele benannten in NRW Arbeitsbelastung und Zeitmangel als eines der größten Probleme an ihrer Schule (bundesweit: 36 Prozent).
Belastungen
Befragt nach den größten subjektiven Belastungsfaktoren für Schulleiter landete bundes- wie landesweit - und ebenso wie in den Vorjahren - das stetig wachsende Aufgabenspektrum mit rund 90 Prozent auf Platz eins, gefolgt von steigenden Verwaltungsarbeiten (Bund und Land rund 85 Prozent) und praxisfernen Politikerentscheidungen (NRW: 85 Prozent, Bund: 82 Prozent).
Empfehlung
28 Prozent der Schulleiter in NRW würden ihren Beruf „auf keinen Fall“ oder „wahrscheinlich nicht“ weiterempfehlen. Im Vorjahr sagten das erst 16 Prozent. Bundesweit fiel die Quote der Nein-Sager mit 36 Prozent allerdings noch schlechter aus.
Note
Die Gesamtbewertung der Schulpolitik in Noten landet in NRW mit 4,1 bei „ausreichend“ – im Vorjahr hatte der Wert bei 3,9 gelegen. Im Bund sieht es mit 3,9 (2019: 3,7) kaum besser aus. „Es ist überfällig, die Schulen endlich spürbar zu stärken und zu entlasten“, bilanzierte Behlau. Dass die schrittweise Öffnung der Bildungseinrichtungen in der Coronakrise unter diesen Bedingungen dennoch gelinge, sei eine große Leistung der Lehrkräfte.