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Alarmstufe Rot: Wissenschaft fordert mehr Artenschutz

Alarmstufe Rot : Wissenschaft fordert mehr Artenschutz

In Nordrhein-Westfalen leben 364 Wildbienenarten, 52 Prozent davon gelten als gefährdet. Eine Volksinitiative will nun die Politik zum Handeln drängen.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung muss aus Sicht von Wissenschaftlern deutlich mehr Anstrengungen unternehmen, um den Artenschwund zu stoppen. „Der Rückgang der Artenvielfalt und Biodiversität ist neben den Folgen des Klimawandels das größte derzeitige Menschheitsproblem. Dies gilt auf allen Ebenen: global bis regional“, schreibt Tillmann Buttschardt, Professor für Angewandte Landschaftsökologie an der Westfälischen-Wilhelms-Universität in Münster, in einer aktuellen Stellungnahme für den Landtag. Im Sinne einer schleichenden Katastrophe würden die negativen Effekte für das menschliche Leben aber erst zeitversetzt sichtbar. Zu Recht verlange daher die Volksinitiative „Artenvielfalt NRW“, dass die CDU-/FDP-Landesregierung ihre angekündigte Biodiversitätsstrategie auch umsetze.

Die Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gesellschaft schreibt, es sei angezeigt, das Thema „Flächensparen“ auf der politischen Agenda weit oben anzusiedeln, und zwar auf allen Planungsebenen. Aber auch aus Sicht der Landwirtschaftskammer sind „weitere Anstrengungen zur Verbesserung der Situation des Naturhaushaltes in Nordrhein-Westfalen geboten“.

Anlass für die Stellungnahmen sind unter anderem Forderungen der Volksinitiative „Artenvielfalt NRW“, die auf Betreiben von drei Umweltverbänden zustande kam, denen sich weitere Verbände anschlossen. Die Initiatoren sammelten 116.000 Bürger-Unterschriften und damit deutlich mehr als die erforderlichen knapp 66.000. Der Landtag erkannte die Volksinitiative bereits als rechtmäßig an und muss sich nun binnen drei Monaten mit den Forderungen auseinandersetzen.

Die Volksinitiative verlangt unter anderem, den Flächenverbrauch verbindlich zu stoppen, Schutzgebiete wirksam zu schützen, naturnahe und wilde Wälder zuzulassen, die naturverträgliche Landwirtschaft aktiv voranzubringen, lebendige Gewässer zu sichern und den Artenschutz in der Stadt zu fördern.

In seiner Stellungnahme macht Umweltprofessor Buttschardt darauf aufmerksam, dass in einigen Bereichen sogar Rückschritte zu verzeichnen sind: Im bis Mai diesen Jahres geltenden Landeswassergesetz etwa habe ein Verbot für Ackerbau oder Dünger auf einem fünf Meter breiten Gewässerrandstreifen gegolten: „Es ist nicht anders als realitätsverweigernd zu bezeichnen, diese Tatsachen nicht anzuerkennen und die einmal von der Politik als richtig erkannten und in langfristigen Instrumenten angelegten Anpassungen und Regelungen wieder zurück zu nehmen.“ Es sei als sehr unglücklich zu bezeichnen, dass die Novellierung des Gesetzes die Verantwortung auf die kommunale Ebene verlege.

Um den Artenschutz in Städten zu fördern, verlangt der Wissenschaftler, Lichtquellen zu reduzieren, da sie häufig zu tödlichen Fallen insbesondere für Insekten werden: „Es sind Lichtaktionspläne, Standards bei der Umrüstung von Beleuchtungsanlagen, Einschränkungen bei Leuchtreklamen, flexible und intelligente Beleuchtungen und vieles mehr zu entwickeln und umzusetzen.“ Die Sensibilität für dieses Thema sei bisher aber gering.

Das NRW-Umweltministerium erhofft sich von der Volksinitiative Artenvielfalt einen „breiten Diskurs über Ziele und Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität.“ Der Schutz der biologischen Vielfalt dürfe kein ausschließlich bilateraler Dialog zwischen Politik und Naturschutzverbänden bleiben, so Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). Die Volksinitiative könne zu einem zusätzlichen Appell werden, dass jede und jeder seinen Beitrag leisten müsse, die Artenvielfalt in NRW zu stärken: „Ich lade alle Akteure zum Gespräch ein. Weniger Schottergärten, mehr grüne Infrastruktur, weniger Pflanzenschutzmittel sind nur einige Beispiele“, sagte die Ministerin.

Die Regierungskoalition arbeitet zurzeit an einer Änderung des Landesnaturschutzgesetzes. Eine Obergrenze etwa für den Flächenverbrauch ist darin nicht vorgesehen: „Die Wirtschaft in NRW geht zudem durchaus sparsam mit Flächen um“, so die CDU-Abgeordnete Bianca Winkelmann.